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Was machen wir heute?: Abstand schaffen

Wie ein Neuberlinerdie Stadt erleben kann

Vier Uhr früh. Ich komme mit dem Rad von einer Geburtstagsfeier. Vor meiner Mietskaserne stehen drei Feuerwehrwagen. Ein Polizist hindert mich am Betreten des Hofes. Brav stehe ich mit meinem Rad auf dem Gehweg und warte. Neben dem Spätshop die übliche Gruppe von Jungtouristen, die sich die Stadt schöntrinkt.

„Ey“, spricht mich einer von ihnen an. Er trägt einen lustigen Hut. „Du kannst auch außen rumgehen. Du brauchst da nicht zu stehen. Nur so ein Tipp.“

Ein Zweiter schaltet sich ein. Er kann schon nicht mehr geradeaus gucken und verwendet einen Großteil seiner Konzentration darauf, stehen zu bleiben. „Da brennt es nämlich. Deswegen ist die Feuerwehr hier.“

Ich nicke, gucke ernst und frage mich, wieso die nicht weggehen. Von der anderen Seite torkelt ein blasses, blondes Mädchen auf mich zu. „Hi!“, sagt sie. Mittlerweile durchzieht Brandgeruch die Luft. „Do you live here?” Ich nicke. Sie erzählt mir, dass sie auch im Hotel wohnt. Wie lange ich schon da sei. „Anderthalb Jahre“, sage ich.

„In a hotel?” Sie hält mich für einen Freak. Ich habe keine Lust, ihr zu erklären, dass die oberen Stockwerke des Hauses nicht zum Hotel gehören, sondern Mietwohnungen sind. Ich sage ihr auch nicht, dass mich die Feuer hier langsam nerven. Vor einem Monat hat eine psychisch kranke Frau auf meiner Etage ihr Zimmer in Brand gesetzt und ist rausgegangen. Bummeln oder so. Jetzt ist jemand ins Asia-Restaurant eingedrungen und hat ein Feuer gelegt. Ich will da nicht irgendwelche Gerüchte in die Welt setzen, das war bestimmt nur ein neckischer Gruß von Freunden.

„Are you gay?“, fragt mich das blasse Mädchen mit großen Augen. Ich hatte sie ganz vergessen und ihr nicht mehr weiter zugehört. Ob ich schwul bin? Wenn mir das diese verpeilten Touris vom Leibe hält – sofort, gerne und für immer. Ich muss mir da mal ernsthaft etwas überlegen. Anselm Neft

www.knoblauchrestaurant.de

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