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Was machen wir heute?: Anständig essen

Wie intensiv und betörend eine Bifi-Salami gerochen hat, wenn wir sie zu Weihnachten nach Ost-Berlin geschickt bekamen! Die Verpackung hob ich noch tagelang auf, um daran zu riechen.

Wie intensiv und betörend eine Bifi-Salami gerochen hat, wenn wir sie zu Weihnachten nach Ost-Berlin geschickt bekamen! Die Verpackung hob ich noch tagelang auf, um daran zu riechen. Die Geschmacksverstärker müssen nachgelassen haben, oder es ist die Macht der Gewohnheit, jedenfalls schmeckt der Westen mir inzwischen nicht mehr, Brot, Butter und Salz sind die einzige Kombination, derer ich nie überdrüssig werde. Wenn ich das Geld habe, kaufe ich in Bio-Läden, da findet man manchmal noch Sachen mit Aroma, z.B. den Frischkäseaufstrich „Scharfe Käthe“. Ich bin also ein Salonrevolutionär, dem es nur um seinen Genuss geht und nicht um die Sache, und der weiterhin Milchprodukte zu sich nimmt, auch wenn dafür Kühe von ihren Kälbern getrennt werden.

Die diesjährige Weihnachtsgans war aber vielleicht die letzte, denn inzwischen habe ich „Anständig essen“ gelesen, das neue Buch von Karen Duve, und denke über meine Daunenkissen nach. Sie hat sich in einem Selbstversuch ein Jahr lang moralisch vom Bioladen-Kunden und Vegetarier bis zum Frutarier hochgearbeitet. Wer sich einmal mit unserer abartigen Lebensmittelindustrie befasst hat, kommt ohne persönliche Konsequenzen – oder zumindest ohne schlechtes Gewissen – nicht davon. Die Zeit der Witze über Hühner-KZ ist vorbei, der Begriff ist durchaus angemessen. Die Duve will sogar die schönen Western-Sättel für ihr Pferd und ihr Maultier abschaffen, da sie aus Leder sind, vegane Schuhe hat sie sich schon besorgt, die Sammlung ausgestopfter Tiere landete in der Abstellkammer. Ein Huhn hat sie aus einer Legebatterie entführt, wäre es ein Mensch, hätte sein Schicksal die Nation bewegt. Da Karen Duve zu den wenigen Autoren gehört, bei denen Erfolg Qualität nicht ausschließt, sollte man jede Zeile von ihr lesen. Eine engagierte Dichterin will ihre Popularität für die Abschaffung des Fleischkonsums einsetzen. Mich hat sie überzeugt. Jochen Schmidt

Jonathan Safran Foer und Karen Duve sind morgen im Fritz Club im Postbahnhof - die Lesung ist allerdings ausverkauft

Jochen Schmidt

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