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Kultur: Was machen wir heute?: Auf die Flügel achten

In Tegel gibt es entschieden mehr Porzellanpudel in den Wohnungen als in Weißensee. Videokameras gibt es etwa gleich viele.

Von David Ensikat

In Tegel gibt es entschieden mehr Porzellanpudel in den Wohnungen als in Weißensee. Videokameras gibt es etwa gleich viele. Ich weiß das, denn ich war Weihnachtsmann. Einmal in Tegel und einmal in Weißensee, das heißt ein Jahr in 15 Familien da und ein Jahr später in 15 Familien dort.

Als Student konnte ich mir noch aussuchen, was ich zur Weihnachtszeit arbeiten würde. Weihnachtsmann schien mir das Richtige zu sein, da meine Freundin mein Weihnachtsengel sein wollte, und die Bezahlung ganz gut war. Außerdem war ich von der Aufgabe befreit, ein eigenes besinnliches Fest zu feiern (diese Zeit zwischen der eigenen Lego-Begeisterung und der des Nachwuchses ist, weihnachtlich betrachtet, doch eher eine schwierige). Besinnlichkeit in andere Familien zu tragen - dazu immerhin sah ich mich in der Lage.

Ich kaufte mir in einem Zauberkramgeschäft eine Weihnachtsmannkutte im Komplettset mit Fusselbart und Gürtelkordel. Meine Freundin hatte es da schwerer: Engelkostüme gab es nicht zu kaufen, sie musste sich ihres selbst nähen. Für die Flügel und für den Heiligenschein verbog sie viele Drähte und beklebte sie - und dachte dabei nicht daran, dass wir auf der Fahrt von Familie zu Familie ja im Auto sitzen mussten. Mit nichtklappbaren Flügeln war das eine äußerst unbequeme Angelegenheit. Wir umhüllten meinen alten Schulatlas mit goldenem Weihnachtspackpapier und klebten Zettel hinein. Auf die schrieben wir die Namen der zu beschenkenden Kinder, das Alter und die guten und schlechten Taten. Was man eben so braucht für eine glaubhafte Bescherung. Bei der Informationsbeschaffung stellte sich heraus, dass Mütter deutlich auskunftsstärker waren als Väter, letztere taten sich vor allem mit den guten Taten ihrer Kinder schwer.

Außerdem vervollständigten wir noch einmal unsere "Oh Tannebaum"-Textkenntnis - ein selten sinnloses Lied übrigens. Wie sich herausstellte, hätte die erste Strophe vollkommen ausgereicht; weder Tegeler noch Weißenseer Familien forderten je das Absingen der zweiten ein.

Während der etwa 20-minütigen Auftritte in den Familien kam es vor allem auf folgendes an: Kein Blinzeln, auch wenn die Videoleuchte noch so blendet. Schnelles Auspacken der Geschenkeberge, sonst blieb keine Zeit mehr für Gedicht und Lied. Freundliches, niemals strenges Auftreten auch gegenüber den Eltern - die geben schließlich das Trinkgeld.

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