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Was machen wir heute?: Castorf verstehen

Es ist ein paar Jahre her, dass ich zum ersten Mal ein Castorf-Stück an der Volksbühne sah. Es war lang und laut, manchmal beeindruckend, gegen Ende sehr ermüdend.

Von David Ensikat

Es ist ein paar Jahre her, dass ich zum ersten Mal ein Castorf-Stück an der Volksbühne sah. Es war lang und laut, manchmal beeindruckend, gegen Ende sehr ermüdend. Neben mir saß einer, der sich auskannte. Als ein Schauspieler einen großen Eisbrocken zu Boden warf, der zerbarst, und mich das irritierte – Wo hat der jetzt das Eis her? Um Eis ging es doch gar nicht! – klärte mich mein Nachbar auf: „Castorf will sagen: Das Eis ist gebrochen! Ganz generell.“ Ah, so sieht man also ein Castorf-Stück, dachte ich und war ein wenig enttäuscht. Ich hatte gedacht, das sei komplexer.

Derzeit spielen sie an der Volksbühne die Castorf-Inszenierung „Die Maßnahme / Mauser“. Das sind zwei Stücke, das erste von Bertolt Brecht, das zweite von Heiner Müller. Am Einlass haben sie noch gewarnt: Es gibt keine Pause dazwischen! Drei Stunden!

Naja, es war halt ein Castorf-Stück, lang, laut, manchmal beeindruckend, gegen Ende ermüdend. Man kann sagen, dass das ganze zweite Stück, „Mauser“, das zähe Ende war. Es ging, wie auch in der „Maßnahme“ um das freiwillige Sterben für die sozialistische Revolution, kein Thema, das in meinem sozialen Umfeld eine zentrale Rolle spielt. Ob sie in Castorfs sozialem Umfeld solche Dinge ernsthaft erwägen? Gut, ich wusste vorher, worum es in den Stücken geht, aber da hab ich mich eben dafür interessiert, wie man aus so etwas Vorgestrigem etwas Heutiges macht. Nun, die Schauspieler mussten viel hangeln und klettern, und im Großen und Ganzen hat man sich irgendwie lustig gemacht über die Sache. Kann man natürlich machen, aber warum drei Stunden lang? Viele Zuschauer verließen den Saal, und mich überkam das Gefühl, das vor 20 Jahren in der DDR geherrscht hatte, als so viele Leute in den Westen fortgelaufen waren: Warum bleibe ich eigentlich? Was erwarte ich denn noch? – Wollte Castorf darauf hinaus? Möglich. Sie treiben an der Volksbühne noch immer die ganz alten Geister aus. Aber gesungen haben sie schön, das können sie an diesem Theater am allerbesten. David Ensikat

„Die Maßnahme / Mauser“ wieder am 24.4.

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