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Was machen wir heute?: Cool sein

Ein Berliner Freund hat mich aufgeklärt, was vor „cool“ gewesen ist. „Knorke“, behauptet er, zumindest in seiner Heimatstadt.

Ein Berliner Freund hat mich aufgeklärt, was vor „cool“ gewesen ist. „Knorke“, behauptet er, zumindest in seiner Heimatstadt. Vielleicht in der Steinzeit? Ich habe jedenfalls noch nie jemanden „knorke“ sagen hören, nicht einmal im Altersheim. Vielleicht ist das nur ein Mythos, wie bei uns in der Schweiz die Geschichte vom Rütlischwur. Noch spannender, als was vor „cool“ war, erscheint mir die Frage, was heute noch cool ist. Als ich jung war, in Basel, schien uns die Sache klar: Rockstar werden! Band, Freundin, Ausbildung (und zwar an einem seriösen Institut wie einer Schauspiel- oder Kunsthochschule) - damit war man cool. Und nur wer in allen drei Punkten versagte, konnte Präsident unseres Loser-Clubs werden. Dann überrollte uns die DJ-Welle, und plötzlich waren selbst begnadete E-Gitarristen mit Traumfrau und Schauspieldiplom bestenfalls mittelcool. Wirklich coole Leute legten Tonträger auf. Nichts gegen dieses Handwerk, aber Kellner werden auch nicht stärker bewundert als Starköche. Seltsame Welt. Doch mittlerweile, so scheint es mir, ebbt auch die DJ-Euphorie wieder ab. Womit also ist man heute angesagt?

Auf einer Frühlingsparty: Musikerinnen, Dokumentarfilmer, Wirtschaftsexperten, Reporter räkelten sich auf Picknickdecken. Alles drehte sich um eine Person. Jeder wollte ein Lächeln von ihr erhaschen, ein paar Worte an sie richten. Ihr Beruf: Tagesmutter. Wer in Berlin eine Tagesmutter sucht, sucht lange. „Wir haben eine“, geben enge Freunde zu. „Aber ihre Nummer liegt zu Hause. Ruf mich nachher an.“ Anschließend ist das Handy wochenlang tot. Lügen und Prügeln werden ungern gesehen. Wo die christliche Tradition der Vergebung in meinem Umfeld endgültig aufhört, ist bei der Kinderbetreuung. Wer einem Freund die Tagesmutter ausspannt, ist unten durch. Was für ein cooler, krisensicherer Job. Wahrscheinlich werden wir bald Anzeigen lesen: „Tausche drei Gitarristen, fünf Journalisten und zwei DJs gegen Tagesmutter“. Till Hein

Tagesmütter findet man an Glückstagen über Mund-zu-Mund-Propaganda

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