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Kultur: Was machen wir heute?: Die Liebe ergründen

Nun endlich weiß der Mensch, dass der Mensch nur 30 000 Gene hat und einem Wurm ganz ähnlich sieht. Aber wie die Liebe entsteht, das wissen wir noch immer nicht.

Nun endlich weiß der Mensch, dass der Mensch nur 30 000 Gene hat und einem Wurm ganz ähnlich sieht. Aber wie die Liebe entsteht, das wissen wir noch immer nicht. Und wollen es auch nicht wissen. Gut, manche behaupten, es sei etwas von Berechnung darin; der französische Depressions-Dichter und Genphilosoph Michel Houellebecq behauptet sogar, die ganze Liebe sei heute durchseucht vom Marktgedanken.

Glücklicherweise kann unser Sohn noch nicht lesen, vor allem keine misanthropischen Roman-Essays. Seine Liebe ist ganz und gar unschuldig. Und ganz und gar verwirrt. Es geht nicht um die Liebe zu den Eltern (na ja) oder den Geschwistern (au weia), sondern um die Liebe zum Verein.

Wenn diese Liebe genetisch bestimmt sein sollte, was wir neuerdings gern glauben, dann müsste Fritz eigentlich Schalke-Fan werden. Denn schon sein Großvater ist es, und sein Vater wurde sozusagen auf der Glückauf-Kampfbahn groß. (So hieß das alte Nachkriegsstadion des FC Schalke 04, das noch überwiegend aus Holz gebaut war.) Wenn die Fußball-Liebe des jungen Fritz allerdings von seinem eigenen Geburtsort abhängt, also eher astro-geologisch bestimmt ist, dann müsste er ein unverbesserlicher Anhänger des 1. FC Köln werden, denn er ist ene Kölsche Jung. Bliebe noch die Sozialisationsthese, der selbstredend unsere eher linken Freunde anhängen. Demnach müsste Fritz ein Hertha-Fan werden, weil ich ihn, solange er denken kann, mangels Alternative ins Olympiastadion schleppe (was einen geborenen Schalke-Fan hart ankommt).

Kein Wunder also, dass die Liebe des Jungen verwirrt ist. Fritz muss man wohl als 1. FC Hertha 04-Fan bezeichnen, drei Seelen wohnen in seiner schmalen Brust. Herbert Marcuse hätte ihn vermutlich als polymorph pervers und also glücklich bezeichnet. Und tatsächlich: Sonnabends, wenn wir zusammen in unsere Fußball-Kneipe gehen, um Premiere zu gucken, dann ist keiner so erfüllt wie er. Er jubelt mit Schalke, trauert mit Hertha und zittert um den 1. FC.

Während die anderen Gäste, erbitterte Hertha-Fans und Liebhaber geistiger Getränke, an vielen Tagen wenig zu lachen haben, findet Fritz fast immer einen seiner Vereine als Sieger wieder. Und dessen Fan ist er dann jeweils am allermeisten.

Womit wir wieder beim französischen Depressions-Dichter Houellebecq wären. Denn so einen Hauch von Berechnung kann man in Fritzens unschuldiger Vereinsliebe nicht ganz übersehen. In dieser Saison jedenfalls fühlt Fritz sich am meisten als Schalke-Fan. Zufällig sind die auch sehr lange Tabellenführer gewesen. Und außerdem rührt es seinen Vater besonders, wenn er für die Königsblauen jubelt, was sich oft in der Bestellung eines zweiten Glases Malzbier niederschlägt.

Später wird Fritz nicht mehr genau wissen, warum er Schalke-Fan geworden ist, aber es wird tief in ihm sein, so tief, dass er es für sehr echt halten wird. Für ein Geheimnis der Liebe. Und er wird Recht haben.

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