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Kultur: Was machen wir heute?: Einen Kunstspaziergang

In die Linienstraße wollten wir nicht: Schon der Name. Aber dann war die Überraschung groß, wähnte doch der Neu-Berliner die interessantesten Ausstellungsorte in der August- oder Sophienstraße (die Namen klingen besser).

In die Linienstraße wollten wir nicht: Schon der Name. Aber dann war die Überraschung groß, wähnte doch der Neu-Berliner die interessantesten Ausstellungsorte in der August- oder Sophienstraße (die Namen klingen besser). Denkste. Wer einmal einen Nachmittag durch die Linienstraße bummelt, wird so etwas nicht mehr behaupten. Merkwürdigerweise sind es häufig Dependancen eingeführter Namen aus Wien, Luzern oder Stuttgart, so als ob Berlin sich noch nicht ganz ins Eigene trauen dürfte und jetzt erst einmal den enzyklopädischen Kosmos europäischer Zeitgenossenschaft abbilden müsste.

Wir begannen bei Bischoff (Linienstraße 121) und stießen auf Lothar Quinte. Dass uns dieser Künstler bisher unbekannt geblieben war, wollte die Galeristin kaum glauben. Denn die meisten Besucher kämen gezielt wegen Quinte, sagt sie. Aber Zufallsbekanntschaften können auch gefallen: Quinte, ein Freund HAP Grieshabers, hat uns nicht nur an unsere schwäbischen Wurzeln und frohe Tage am Rand der Alb erinnert, seine ruhigen, aus leuchtender Monochromie fast dreidimensional glühenden Bilder vermitteln zugleich etwas von der Ruhe der späten Nachkriegsmoderne.

Wirklich elektrisiert wurden wir dann bei Kuckei + Kuckei (Linienstraße 158). Lois Renner, ein Wiener, ist ein Meister der fotografischen Verwirrung. Fotografie dürfe man eigentlich nicht sagen, belehrt uns die Galeristin. Renner verstehe seine Aufnahmen als Bilder, fotografische Gemälde komponiert in Zitaten aus Vermeer und anderen. Erst wer es weiß, bemerkt den Trick: Renner hat aus seinem Atelier ein Puppenstuben-Modell gebastelt und dieses in reale Räume installiert. Das wirkt auf den Bildern wunderbar ironisch, weil der Blick immer durch unterschiedliche Größen und Dimensionen gefoppt wird. Das Auge irrt auf der Suche nach einendem Sinn, nie wissend, ob es gerade "Reales" oder "Modellhaftes" wahrnimmt. Unruhe entsteht dabei nie, was wohl am Vorbild der alten Meister und ihrem Sinn für Maß liegen muss. Das hat uns alles derart berührt, dass nur der aktuelle Kontostand (und die Dimension der heimischen Wände) uns vom sofortigen Kauf abhielt.

Beim Verlassen der Kuckeischen Räume warfen wir noch kurz einen Blick zum Nachbarn, Wiens Laden & Verlag (Linienstraße 158, Hof Mitte), wo gerade Zeichungen von Tomas Schmit ("können menschen denken?") gezeigt werden. Doch weder dieser Frage, noch den Zeichnungen selbst konnten wir uns so recht widmen, irritierte uns doch ein wenig, dass der Galerist dabei war, die Bilder zu säubern und anschließend das Glas mit Zeitungspapier zu trocknen. Dabei hatte er sich für jede Zeichnung eine Seite der Investor-Beilage des Tagesspiegel reserviert. Nach anfänglicher Kränkung schien uns dies Ausdruck hohen Raffinements, denn die Zeichnungen selbst sind ja nichts als Objekte für einen künftigen Investor.

Rainer Hank

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