zum Hauptinhalt

Was machen wir heute?: Götzendienst

Wie ein Rentnerdie Stadt erleben kann

Des Rentners Tochter hat eine Freundin zu Besuch, beide sind um die 20. Soll der Rentner sie in die Temporäre Kunsthalle schleppen? Grau-schwarz hat man die einst schöne, blaue Kunsthalle verkleidet. Aber innen ist sie strahlend weiß. Eine Art begehbare Spirale führt hoch zur Decke. Zwei hüfthohe Plastiken – sie sehen aus wie Buchstaben. Der Rentner will schon weitergehen. Da entziffert die Freundin die beiden Kunstwerke Karl Holmquists: Fuck sagt das eine und das zweite: Luck. Der Rentner fühlt sich aufgeklärt. Inzwischen hat die Tochter einen an der Wand hängenden Text gefunden, auf dem mit kleinen Zahlen die Künstler und die Titel der Kunstwerke bezeichnet werden. Der Rentner freut sich, dass außerdem Interpretationen der Werke gegeben werden.

Zwei riesig hohe – 5 Meter werden es wohl sein – klavierschwarze Monumente ragen in den weißen Himmel. Die Freundinnen sind sehr angetan. Die Tochter liest vor, die Figuren werden mit Götzenbildern verglichen, aber den Freundinnen erscheinen sie eher wie Schachfiguren oder altmodische Klavierbeine, und das ist bewundernd gemeint. Amelie von Wulfens Werke sind den Freundinnen zu hübsch. Als der Rentner sie fragt, ob moderne Kunst immer hässlich sein müsse, bekommt er die Antwort, na, die Farben erinnern an Frauen längst vergangener Zeiten, so mit bunten Stirnbändern, grellen Leggins und krassen Dauerwellen.

Und dann sind die drei von einer Video-Arbeit gefesselt, von Kirsten Pieroth: Inflated Dingo. Durch Kopfhörer kann man die Musik hören: Ein Bandeonspieler in Jeans, T-Shirt und Turnschuhen bläst mit Hilfe seines Instruments ein Schlauchboot auf. Wie der Mann sich Mühe gibt, wie sein Fuß den Rhythmus schlägt, wie er den Kopf mit Hingebung an sein Spiel neigt! Macht sich die Künstlerin lustig über den Mann oder ist das Werk ein Symbol für Musik oder den Künstler überhaupt? Spannende Diskussionen mit den beiden jungen Frauen folgen.Plümper

Temporäre Kunsthalle: Scorpio’s Garden. Bis 15.11. Schlossplatz Berlin Mitte

Plümper

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false