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Kultur: Was machen wir heute?: Im Hinterzimmer Kino gucken

Die Fassade ist grau-schwarz, und der Putz bröckelt. Nur der Schriftzug "Tilsiter Lichtspiele" weist darauf hin, dass es hier tatsächlich ein Kino gibt.

Die Fassade ist grau-schwarz, und der Putz bröckelt. Nur der Schriftzug "Tilsiter Lichtspiele" weist darauf hin, dass es hier tatsächlich ein Kino gibt. Der Saal versteckt sich im Hinterzimmer einer beliebten Friedrichshainer Kneipe. Er hat 70 Plätze, die Sessel sind historisch. Sie stammen aus dem alten Kosmos-Kino, dem einzigen "Kulturbau", der in der früheren Stalinallee je gebaut worden ist. Die Filme unterscheiden sich deutlich vom Angebot der Multiplexe. "Wir sind kein Premierenkino", versichert Eckard Stüwe, einer der drei Betreiber des Kinos.

So ganz stimmt das nicht. Da waren zum Beispiel vor ein paar Wochen die isländischen Dokumentarfilme (mit englischen Untertiteln), die außerhalb Islands noch nie irgendwo gezeigt worden waren. Wie sie darauf gekommen sind? Ganz einfach, "der isländische Regisseur wohnt zwei Häuser weiter und ist neu in Berlin", sagt Stüwe. Manchmal machen er und seine zwei Partner, Alex Zahn und Benjamin Tragelehn, eben auch ein Dokumentarfilmprogramm. Und dann fallen ihm die vielen Premieren ein, die Filmhochschüler in den Tilsiter Lichtspielen immer wieder veranstalten. Sie sind wohl doch ein Premierenkino.

Meistens zeigen die drei Kino-Macher aber unabhängige Produktionen, die im "normalen Kino" längst wieder aus dem Programm gekippt sind. Und dann empfindet Stüwe, der das Programm macht und aus dem Osten kommt, auch noch "eine Verpflichtung, immer mal wieder den alten Defa-Ramsch auszugraben". Wie in dieser Woche. Die Tilsiter Lichtspiele zeigen "Die Architekten", einen der letzten DDR-Filme. Er wurde 1990, nach der Wende, aber vor der Wiedervereinigung gedreht und lockt ein erstaunliches Publikum an. Junge Leute, bei denen die Auszeichnung "Arbeiter des Sozialismus" hysterisches Gekicher auslöst. Ältere Leute aus der Nachbarschaft, die danach Sätze sagen wie diesen: "Schöne Bilder aus Marzahn haben die gezeigt. Das haben die gut gemacht." "Der Film", gibt Stüwe zu, "ist zwar kein Renner. Aber auch wir sind überrascht über das Publikum." Natürlich sei "Die Architekten" 1990 gefloppt. Die Leute hätten damals eben andere Probleme gehabt.

Aber es ist ja nicht nur das Kino, das die Leute anzieht. Es gibt auch noch die Kneipe. Sie ist spätestens nach der ersten Vorstellung am Abend immer voll. Das muss sie auch. Ohne die Kneipe hätten die Tilsiter Lichtspiele keine Überlebenschance. Stüwe mag sich trotzdem nicht beschweren: "Klar. Es ist ein hartes Brot. Aber wer will schon das ewige Klagen hören?" Er greift lieber in den Lebensretter am Eingang gleich rechts: Im "Tilsomat" gibt es Schokoriegel und andere Überlebenshilfen. Wenn die Leute das Kino verlassen, können sie sich noch schnell mit einer Wegzehrung eindecken. Wohl dem, der ein Hinterzimmerkino in der Nachbarschaft hat, von denen es in Berlin noch mehr geben soll: Acud, Sputnik, Regenbogenkino und wie sie alle heißen. Die Eigenwerbung scheint wohl zu stimmen: Berlin ist eine Kinostadt.

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