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Kultur: Was machen wir heute?: Im Kino verrückt werden!

Bitte beachten Sie, liebe Leserin, lieber Leser, ab sofort in allen Kinos dieser Stadt die folgenden zehn Gebote:Du sollst nicht an den falschen Stellen lachen. Du sollst nicht mit Popcorn knuspern.

Bitte beachten Sie, liebe Leserin, lieber Leser, ab sofort in allen Kinos dieser Stadt die folgenden zehn Gebote:

Du sollst nicht an den falschen Stellen lachen.

Du sollst nicht mit Popcorn knuspern.

Du sollst die Knie nicht gegen die Rücklehne des Vordersitzes drücken und dann nervös wippeln.

Du sollst kein anderes Eis haben neben Langnese.

Du sollst nicht schnarchen.

Du sollst vorher 24 Stunden lang keinen Döner mit Knoblauchsoße essen.

Du sollst dem Nachbar nicht mit lauter Stimme die Gags erklären, die er nicht verstanden hat.

Du sollst vorher die Toilette aufsuchen.

Du sollst nicht begehren deines Nächsten Armlehne.

Du sollst Untertitel lesen, nicht vorlesen.

Es ist "uneingeschränkt" (Joschka Fischer) notwendig, dass sich alle an diese Regeln halten, die "unser Gemeinwesen" (Johannes Rau) erst richtig lebenswert machen. Denn wozu geht man schließlich ins Kino? Wir wollen dort die verzogenen Kinder vergessen, den Arbeitsplatz wollen wir vergessen, auch die nächste Rate für den Peugeot 307... - all das wollen wir im Kino vergessen, "auch und gerade" (Gerhard Schröder), weil wir in einer "Erinnerungsgesellschaft" (Antje Vollmer) leben.

Stattdessen wollen wir, dass Gene Hackman die Mafia und die Bullen gegeneinander austrickst und diese blutspitzende Schießerei als einziger überlebt, dass Emir Kustoricas Musik nicht mit dem Abspann enden möge, dass Woody Allen endlich von der vollbusigen Blondine erlöst wird, dass Julia Roberts finalissimo den schönsten Kerl abkriegt uswusf. Ist das zuviel verlangt?

Wenn die obigen Gebote nicht befolgt werden, liebe Leser, endet es schlimm. Sie können sich den Beweis für diese Behauptung derzeit im Hamburger Bahnhof anschauen. Dort steht im WerkRaum.9 eine Installation der Künstler Janet Cardiff & George Bures Miller (einer der Hits bei der Biennale in Venedig). Ein kleines Filmtheater, 17 rote Sitzplätze. Jeder bekommt einen Kopfhörer, der räumlichen Klang erzeugen kann. Es wird dunkel. Man hört hüstelhüstel Stimmen von hinten pssst, es geht los!, was ziemlich irritierend ist, denn hinter einem ist nur noch die Wand, raschelraschel, der Film läuft an, Hier ist Dein Drink, ein Haus ist zu sehen, Hast Du den Herd kontrolliert, ehe wir weggingen?, schon brennt das Dach lichterloh, der Film, die Musik dazu, die Stimmen des Films, die Stimmen der imaginären Zuschauer hinter einem, knirpsknirpsknirps macht das Popcorn, einer lacht, Pssssst!, düstere Streichertöne beschleunigen den Herzschlag, Ich gehe nach Hause und schaue nach dem Herd sagt die Frau hinter einem, die nicht da ist, und geht traptraptrap nach draußen... Der Museumsmann, der den Einlass regelt, sagt: "Die Leute sind froh, wenn sie wieder raus dürfen," aus diesem Höllenloch, wo übern Kopfhörer ständig gegen die zehn Gebote des Kinos verstoßen wird. Es macht einen WAHNSINNIG.

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