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Kultur: Was machen wir heute?: Relevanz suchen

Der Sonntag stand ganz im Zeichen des Mittwochs. Am Frühstückstisch fiel es mir ein: Ich muss was erleben, denn am Montag kann ich nicht, und am Dienstag muss die Kolumne geschrieben sein.

Von David Ensikat

Der Sonntag stand ganz im Zeichen des Mittwochs. Am Frühstückstisch fiel es mir ein: Ich muss was erleben, denn am Montag kann ich nicht, und am Dienstag muss die Kolumne geschrieben sein. Die Mittwochskolumne, diese hier.

Freundin und Sohn am Frühstückstisch fanden es in Ordnung, jetzt was zu erleben, alle gemeinsam. Ich sagte: Gut, es ist Sonntag, erleben wir was gemeinsam, aber glaubt nicht, dass ihr in der Kolumne vorkommen dürft. Vor allem du nicht, Sohn, denn kolumnenmäßig bin ich Ost-Berliner und nicht Vater. Dem Sohn war das egal, er meinte nur, wir sollten am besten was im Kino erleben. Monster AG, sagte er, sollten wir da erleben, den Film habe die Melanie schon gesehen, und der sei total lustig. Ich sagte: Nein, keinen Kinderkram, kein Kino, wir müssen was mit Anspruch erleben, etwas, das ich am Mittwoch kulturell und gesellschaftlich interessierten, reifen Tagesspiegel-Lesern weiterempfehlen kann.

Dann hob ich die Stimme: Wir erleben heute: die neuen Medien, moderne Kunst, junges Engagement und Gesellschaftskritik, alles auf einmal und: alles im Haus der Kulturen der Welt. Freundin und Sohn zuckten zusammen, niemand widersprach.

Wir fuhren los - und standen im Stau. Schuld war der Karneval, denn um den musste der Verkehr herumgeleitet werden. In der Ferne sahen wir bunte Karnevalswagen, hin und wieder querten lustige Karnevalisten mit Bierbauch und Bommelmütze die Fahrbahn. Der Sohn schlug vor, doch hier was zu erleben. Nichts da, rief ich, wir fahren zur Transmediale.02, die hat gesellschaftlich und zukunftspolitisch betrachtet eine höhere Relevanz als der Karneval (vgl. oben), und außerdem ist die noch am Mittwoch zu besuchen und der Karneval nicht.

Vor dem Haus der Kulturen der Welt querte ein junger schlanker Mann mit modischem Haarschnitt unseren Weg. Sein Blick haftete fest am kleinen Monitor seiner Videokamera. Er machte einen sehr ernsten Eindruck und kümmerte sich kein bisschen um die Autos, die ihn hätten umfahren können. Er hatte ganz offensichtlich eine Mission, eine multimediale.

Im Haus der Kulturen der Welt stand an der Kasse eine lange Schlange ebenso engagiert erscheinender wie modisch gekleideter junger Menschen, und eine Dame sagte, dass man hier eine Stunde warten müsse, um reinzukommen. Bei aller Relevanz - das ging nicht. Nicht mit ungeduldiger Freundin und ignorantem Sohn (allein hätte ich rufen können: Ich bin Kolumnist, lasst mich durch).

Wir kehrten zurück zum Auto, vorbei an einem Computer, der neben dem Eingang des Hauses der Kulturen der Welt stand und gesellschaftskritisch schnarrte: Should I stay or should I go. Dann fuhren wir zum Kino und guckten Monster AG. Das ist ein Film, dessen gesellschaftliche Relevanz... naja... Ach was, es ist ein großartiger Film. Den empfehle ich jetzt. Und dass mein Sohn in dieser Kolumne vorkommt, ist mir auch sehr peinlich.

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