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Was machen wir heute?: Schwarz-weiß fotografieren

Als ich Fotograf werden wollte, lebte ich in einem grauen Land. Es war kein schwarz-weißes Land, es war ein graues Land (keinesfalls ein buntes).

Von David Ensikat

Als ich Fotograf werden wollte, lebte ich in einem grauen Land. Es war kein schwarz-weißes Land, es war ein graues Land (keinesfalls ein buntes). Weil die Farbfotografie teuer und aufwendig war, fotografierte ich schwarz-weiß, und weil ich für die Fotolaborarbeit wenig Geduld und möglicherweise auch wenig Talent hatte, enthielten meine Bilder nur ganz selten tiefe Schwarz- und lichte Weißtöne. Sie waren meistens grau. Weil das Land das aber auch war, hielt ich mich für einen talentierten Realisten.

Dass ich in dem grauen Land nicht einfach so Fotografie studieren konnte, so viel stand fest, lag nicht daran, dass es zu wenig Studienplätze gab. Ich war mir sicher, dass sich das Land vor meinem grauverschleierten Realismus fürchtete.

Dann fiel die Mauer, alles wurde bunt, und die Sache mit der Fotografie war erledigt für mich. Ein Land, in dem jeder fotografieren darf, was er will, farbig oder schwarz-weiß, in dem graue Fotos nicht als kritisch sondern als technisch misslungen gelten, empfand ich als unwürdig, von mir abgebildet zu werden.

In der Ausstellung „Pigozzi and the Paparazzi“ gibt es überhaupt keine Farbfotos; die Ausstellungsmacher halten die neuen, bunten Bilder für geschmacklos. Graue Fotos gibt es aber auch nicht. Überall tiefe Schwarz- und lichte Weißtöne. Gewiss hatten die Paparazzi hervorragende Fotolaboranten. Wichtiger aber: Sie hatten zu ihren Objekten eine sehr andere Einstellung, als ich damals zu dem meinen.

Ein einziges Paparazzofoto habe ich gemacht in meinem kurzen kritischen Fotografenleben. Es war der 1. Mai 1989, die Politbürokratentribüne. Horst Sindermann blickt fragend in die Kamera, bestimmt hat er meine mutig-distanzierte Einstellung gespürt, Erich Honecker neben ihm winkt ahnungslos in die Ferne. Die Sonne scheint, die Schatten sind tiefschwarz, Erich Honeckers Hut leuchtet weiß. David Ensikat

„Pigozzi and the Paparazzi“, Museum für Fotografie, Jebensstraße 2, Dienstag bis Sonntag 10 bis 18, Donnerstag bis 22 Uhr.

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