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Was machen wir heute?: Stress-Bahn

Wie ein Ost-Berlinerdie Stadt erleben kann

Es gibt Entscheidungen, bei denen man nur verlieren kann. Vergangenes Wochenende wurde ich zum Beispiel in Dresden auf dem Striezelmarkt gefragt, ob ich meinen Glühwein mit oder ohne Schuss haben möchte. Ohne Schuss hätte geheißen: zu süß. Mit Schuss: zu knallig.

Ich traf eine Entscheidung, von der ich anfangs dachte, dass es die richtige war. Später stellte sich das Gegenteil heraus.

So geht es mir inzwischen auch mit dem Berliner Nahverkehr. Jeden Morgen frage ich mich, ob ich aus Prenzlauer Berg lieber mit der S-Bahn in die Stadtmitte fahre oder lieber mit der U-Bahn. (Eine sommerliche Weile lang konnte ich mich um diese Frage drücken und aufs Fahrrad steigen, aber jeder sieht ja, was da draußen gerade los ist.) Nun ist es wie beim Glühwein. U-Bahn: zu stickig. S-Bahn: zu voll.

Viele Wochen lang habe ich eher zur S–Bahn tendiert – trotz nicht mehr haltbarer Radachsen und nicht mehr verfügbarer Ersatzwagen. Ich höre immer genau hin, wenn ich am Bahnsteig automatisch darüber informiert werde, dass jetzt gleich noch eine Ringbahn ausfällt (warum, sagt allerdings keiner). Ich frage auch höflich beim Personal am Bahnhof Gesundbrunnen nach, warum mir wieder mal der Anschlusszug wegfährt – und zwar stets in dem Moment, da ich gerade auf dem gegenüber liegenden Bahnsteig ankomme. Antwort: „Der Zug war schon zu spät.“ Und während ich dann zehn Minuten auf einen pünktlichen Zug warte, träume ich mich in die U-Bahn.

Testweise tauchte ich wieder in die U-Bahn-Welt ein. Dort traf ich: betrunkene Stationsansager, betrunkene Hostel-Kids, betrunkene 1.-FC-Köln- Fans. Für einen Montagmorgen war mir das zu knallig. Also wechselte ich am Dienstag zurück zur Stress-Bahn. Dort überreichte mir eine Bahnhofsangestellte am Gesundbrunnen einen Adventskalender. Drinnen lag Schokolade: leider zu süß. Robert Ide

Auf dem Striezelmarkt in Dresden gibt es Glühwein für drei Euro – ohne Schuss.

Robert IdeD

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