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Kultur: Was machen wir heute?: Vergängliche Bauten betrachten

Es gibt eine neue Art Baustellen-Tourismus in Berlin. Jetzt, da die Baugrube am Potsdamer Platz und ihre Infobox nur noch Geschichte sind, fasziniert die öffentliche Zerstörung von Gebäuden.

Es gibt eine neue Art Baustellen-Tourismus in Berlin. Jetzt, da die Baugrube am Potsdamer Platz und ihre Infobox nur noch Geschichte sind, fasziniert die öffentliche Zerstörung von Gebäuden. Als im letzten Sommer die beliebte Mehrzweckgaststätte "Ahornblatt" an der Fischerinsel fiel, empörte das zwar Architekturfreunde in der ganzen Welt, ihre dramatische Beseitigung bekam dagegen kaum jemand mit, da das kompakte Bauwerk in nur zwei Wochen restlos verschwunden war.

So ein schneller Tod ist dem Hotel Radisson Plaza nicht vergönnt. Dem Haus neben dem Berliner Dom kann man beim monatelangen Ausschlachten ungeniert zusehen. Seit Anfang des Jahres schlagen Hämmer und Bagger immer neue Wunden in die undurchsichtigen Bronzefenster und zerren Teppiche und Tapeten ans Tageslicht. Ein bisschen sieht es so aus, als weine das Haus, wenn aus den aufgerissenen Fenstern Möbelreste und Leitungen kullern.

Die Infobox am Potsdamer Platz darf dagegen würdevoller vergehen. Zumindest sieht der alte Publikumsliebling nicht halb so angeschlagen aus, obwohl er seine roten Platten auch schon los ist. Vielleicht liegt es daran, dass die Box auch unter Putz noch Rot ist oder die entblößende Endphase noch nicht eingetreten ist. Womöglich wird die Box eines Nachts noch heimlich ausgeflogen, damit wir sie in unbeschadeter Erinnerung behalten.

Obwohl die Infobox nie für die Ewigkeit, sondern nur für vorübergehende touristische Belange errichtet worden war, galt sie doch als beliebte Adresse am Potsdamer Platz. Was man von den großen Gebäude, über die die Box einst informierte, nicht gerade sagen kann. Deren Architektur muss man zwar durchweg gigantisch, nicht unbedingt aber gelungen nennen.

Um warm zu werden mit den gläsern-kalten Bauten gibt es ein paar inoffizielle Orte am Potsdamer Platz, an denen auch geschickte Normalsterbliche die galaktischen Ausmaße der neuen Architektur genießen können. Neben der exklusiven Lounge im Hyatt-Hotel wäre da zum Beispiel die Cafeteria der Studenten der Filmakademie. Sie befindet sich im obersten Stockwerk des Filmhauses direkt unter dem Segeldach des Sony-Centers und hat als einzige im ganzen Komplex eine Terrasse zum Innenhof.

Von dort lässt sich ziemlich lässig den Touristen winken, die von unten neidisch nach oben schauen. Da sich daraufhin einige wagemutige Reisegruppen auch schon mal auf den Weg ins oberste Stockwerk machen und dabei in jeder Etage herumspazieren, musste der Zutritt inzwischen drastisch reglementiert werden. Wenn Sie sich aber ein bisschen clever anstellen und so tun als würden Sie als Langzeitstudent ihren aus der Provinz eingetroffenen Besuchern auch mal einen Blick von ihrer privaten Aussichtsplattform schenken, dann fahren Sie (tagsüber!) festen Schrittes hoch in die neunte Etage und gönnen Sie sich eine gute Tasse Kaffee zu studentischen Tiefstpreisen.

Britta Wauer

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