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Was machen wir heute?: Verschwinden

Autor Robert Ide ist hin- und hergerissen zwischen seinem Ärger über Mode-Erscheinungen, die er nie wiedersehen will und dem wachsenden Wunsch nach Beständigkeit.

Letztens war ich auf einer Neunzigerjahre-Party, ich hatte dafür extra meine alte rote Jeansjacke aus dem Keller geholt und mir ein Holzfällerhemd für fünf Euro gekauft. In einer kurzen Beschallungspause zwischen den verdrängten Schmerzhits „Rhythm is a dancer“ und „What is love?“, rief mir eine blonde Frau im Glitzerblazer zu: „Schickes Hemd! Die werden wieder modern.“ Ich war darüber noch entsetzter als über die Musikauswahl und dachte mir beim Nachhausegehen: Warum können bestimmte Dinge nicht einfach für immer verschwinden?

Am nächsten Abend war es genau umgekehrt. Ich landete auf einer Gentrifizierungs- Gegenwartsparty – naja, eigentlich wollte ich nur ein Bier trinken gehen. Mir fiel der Pfefferberg ein, der Hof einer ehemaligen Brauerei, auf dem man in den Neunzigern in Holzfällerhemden auf Bierbänken sitzen konnte. Mehr brauchte es nicht, „Rythm is a dancer“ lief woanders. Heute empfiehlt sich der Pfefferberg als das „neue Gastro-Highlight Berlins“ und nennt sich „Tauro“, es werden Speisen angeboten von einem „mit harzarmer japanischer Kokosholzkohle befeuerten spanischen Grill“. Das Bier wird an einem Feuer und Wasser speienden Brunnen serviert, vor dem Touristen gerne Fotofaxen machen. Als ich nach Hause ging, dachte ich: Warum muss sich immer alles ändern?

Morgen Abend werde ich wieder nach Hause kommen und mich etwas fragen. Eines meiner Lieblingslokale feiert Wiedereröffnung nach ein paar Wochen der Turbulenzen und eines Besitzerwechsels. Gutes Essen gab es hier zu Nachbarschaftspreisen, dünne Schnitzel, riesige Salate, aber auch Exklusiveres, und nette Nachbarn saßen nach der Arbeit an der Bar und tranken Cocktails, und die Musik war auch noch gut. Das Aufregende lag im Unaufgeregten – und deshalb hat die Nachbarschaft um ihr zweites Wohnzimmer gebangt. Morgen nun beginnt alles von vorn. Hoffentlich läuft nicht „Rhythm is a dancer“. Robert Ide

Fellas, ab morgen wieder geöffnet in der Stargarder Straße 3, Ecke Schönhauser Allee

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