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Was machen wir heute?: Vom Leben lernen

Wie ein Ost-Berliner die Stadt erleben kann

Von David Ensikat

Auf dem Flughafen muss man jetzt drei Stunden vorher sein wegen der Terroristen. In Dubai hat ein bankrotter Herrscher mit finsterem Blick ein Hochhaus eingeweiht, auf welches die deutsche Wirtschaft stolz ist, weil sie Beton, Parkett und Fenster beisteuern durfte; Indien und Pakistan lieferten billige Bauarbeiter. Das Haus ist hoch; wozu es sonst noch gut ist, weiß man nicht. Guido Westerwelle ist Außenminister.

In der Schule habe ich gelernt, dass, wer Hegel vom Kopf auf die Füße stellt, erfährt, wie zwangsläufig und gesetzmäßig die Geschichte voranschreitet, immer zum Besseren. Das Leben lehrt: Die Schule hat nicht immer recht.

Von meiner Oma habe ich gelernt, dass man aufisst, was auf den Tisch kommt, und dass man mit dem Essen nicht spielen darf. Das Deutsche Historische Museum lehrt: Auch die Oma hat nicht immer recht.

In dem Museum gibt es, wenige Tage noch, eine Ausstellung, die sich der Zeit widmet, in der viele kluge Leute noch der Meinung waren, dass das mit Hegel und der Geschichte so einfach sei; man könne ihr, also der Geschichte in ihrem Voranschreiten, ein wenig helfen, indem man Kunst herstellt. Guido Westerwelle war damals zeitweise noch gar nicht auf der Welt. Aber Dieter Roth war da, ein Künstler, der den historischen Fortschritt vor allem in seiner Eigenschaft als Lebensmittelverderber würdigte.

Er formte aus Schokolade Löwen und baute einen Schokolöwenturm. Und er zerhäckselte Bücher, welche er nicht mochte, vermengte sie mit Wasser, Fett, Gelatine und Gewürzen und stopfte sie in Wurstdärme.

Eine seiner „Literaturwürste“ (Martin Walser, Halbzeit, zerschnittene Wurst im Rahmen hinter Glas) sowie den schimmelnden Schokolöwenturm zeigt die Ausstellung neben vielen anderen hübschen und hässlichen, in jedem Fall sehenswerten Dingen aus einer unendlich fernen, gar nicht lang vergangenen Vergangenheit. David Ensikat

Kunst und Kalter Krieg. Deutsche Positionen 1945–1989. Noch bis 10. Januar im DHM, Hinter dem Zeughaus, täglich 10–18 Uhr. www.dhm.de

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