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Was machen wir heute?: Wechselstuben nachtrauern

Wie eine Rentnerin die Stadt erleben kann

Früher war alles einfacher, oder nur anders, in der Erinnerung natürlich besser. Wer etwa ins Ausland fahren wollte, ging zu seiner Bankfiliale gleich um die Ecke und besorgte sich das Geld in fremden Währungen, notfalls auf Bestellung, kein Problem. In unserer durchrationalisierten Welt ist das nicht mehr drin, viel zu viel Aufwand für Kleckerkram, den sich die Bank nicht leisten mag.

Neulich, vor einer kleinen Reise durch Schlesien, fragte die Rentnerin in ihrer Filiale, die längst auch nicht mehr so nahe ist, nach Zlotys. Man bedauerte: „Wenn, dann nur noch in einer Filiale mit Kasse.“ Da die nächste „mit Kasse“ zwölf Kilometer entfernt ist, wollte sie wenigstens sicher sein, dass sie dort die polnische Währung erhalten würde. Also bat sie um telefonische Nachfrage. Das dauerte. Die Kassiererin war nicht da, die Stellvertreterin wusste nicht Bescheid, man könne die Kundin gern telefonisch ins Bild setzen.

Märchenhaft, dachte sie, da werden nun unentwegt per Knopfdruck Milliarden um die Erde geschickt, aber unsereiner kommt nur auf komplizierten Umwegen zu seinem bisschen Reisegeld. Gehört nicht unser Nachbar Polen zur EU? Endlich, nach Stunden, der erlösende Anruf: Sie habe Glück, für ihren recht geringen Bedarf seien ausreichend Zlotys vorrätig. Beim Umtausch riet ihr die nette Kassiererin fürsorglich, das nächste Mal einfach in eine der Wechselstuben zu gehen, die hätten „alles“, und der Umtausch sei dort günstig.

Wechselstube, aha! Sie kam sich plötzlich vor wie aus der Zeit gefallen. Bisher fiel ihr bei diesem Begriff bloß der Kalte Krieg ein. Seit einem halben Jahrhundert war sie in keiner Wechselstube mehr. Lange vor dem Mauerbau, als sie noch im Osten wohnte, zahlte man für eine West-Mark vier, fünf Ost-Mark oder mehr, mühsam erspartes Geld, etwa für gutes Schuhwerk aus dem Westen. In den Rundfunknachrichten war der Wechselkurs beinahe das Wichtigste. Später, zu Mauerzeiten, hatte das Wort Wechselstube etwas Anrüchiges, klang irgendwie unsauber, nach Geldschieberei. Vorbei. Wie man doch die Vergangenheit mit sich herumschleppt. Brigitte Grunert

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