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Was machen wir heute?: Zur Schule laufen

Wie ein Vater die Stadt erleben kann

Von Andreas Austilat

Ich glaube, ich habe noch gar nicht erwähnt, dass mein Sohn den Führerschein hat. Er kann jetzt selbst Auto fahren. Theoretisch, praktisch tut der Wagen keinen Mucks mehr, seit sich die Batterie verabschiedet hat. „Autofahren macht im Winter sowieso keinen Spaß,“ hat er gesagt. Und sich eine Monatskarte besorgt, denn, genau: „Radfahren ist im Winter auch nicht schön.“

Leider ist er mit dieser Haltung nicht allein. Jeden Morgen steht er vorne an der Ecke an der Haltestelle, der Bus kommt – und fährt vorbei. Weil er voll ist und die neun Schüler, die da noch warten, die passen nicht mehr rein. Dann setzt sich der ganze Treck fluchend in Bewegung und läuft zur Schule. Was sollen sie sonst auch machen, der nächste Bus kommt erst 20 Minuten später, mit dem würden sie es alle nicht mehr schaffen.

Eine Haltestelle weiter gesellt sich dann noch ein Trupp dazu, an der übernächsten ist es schon eine kleine Demonstration. Der Bus bedient eine Grund- und drei Oberschulen.

Was habe ich also getan? Ich habe mich eingesetzt, so wie früher. Der Junge soll doch wissen, dass ich notfalls immer noch für ihn kämpfe, auch wenn er schon 18 ist und das selber könnte. Ich habe also bei der BVG angerufen, beim Kundenservice.

„Wo wohnen Sie denn,“ hat der Mann gefragt, „sicher am 172er“. 172er? Den kenn’ ich nicht. „Oder am M 11er?“ – „Nein“, habe ich geantwortet, „am 184er, Lichterfelde. Könnte man da nicht nur während des Winters einen Bus mehr laufen lassen, vor acht Uhr, wenn die alle zur Schule müssen? Oder einfach einen größeren Bus nehmen?“ – „Geht leider nicht“, hat der Mann darauf gesagt, „Personalmangel, und wir müssen noch 3000 Stellen abbauen.“ Du liebe Zeit, wahrscheinlich kommt dann auf dem Rückweg auch kein Bus mehr. „Aber ich notier’s mir.“ Nett war der Mann vom Kundenservice ja. „184er“, habe ich ihm noch zurufen können, bevor er aufgelegt hat. Zum Glück sind erst mal eine Woche Ferien!

Der Junge hat meine Niederlage ziemlich gefasst aufgenommen. „Busfahren im Winter ist eben nicht schön“, hat er gesagt. Ach, wenn er wüsste, was sein Vater manchmal in der S-Bahn durchmacht. Andreas Austilat

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