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Kultur: Was macht der Mann im Meer?

Der große Verwirrspieler: In Hannover ist das Werk des Malers Peter Doig zu sehen

Den Mann, der dort so kerzengerade steht, hat eine weite Reise gemacht. Er ist an der Seine gestartet, vor den Auslagen einer Pariser Kunsthandlung, um 1863, und in der Jetztzeit der Karibik gelandet, in den sanften, sattgrünen Hügeln von Port of Spain auf der Insel Trinidad. Zugegeben, die Jahrhundert-Reise hat ihn etwas mitgenommen: Trug er in Paris noch eine hellgraue Jacke und weißes Halstuch, sind die Ärmel längst gestopft, die Jacke löchrig, das Halstuch vergilbt. Auch die Nase ist inzwischen etwas weinselig-rot gefärbt, aber die aufrechte Haltung und den kritischen Blick hat er sich vom Schicksal nicht nehmen lassen.

„Metropolitain“ hat der Maler Peter Doig sein Gemälde von 2003 genannt – ein Bild, das durchaus programmatisch zu verstehen ist. Den eleganten Pariser Kunstfreund hat es aus Honoré Daumiers Bild „Amateur d’estampes“ zu Doig verschlagen, und von den von ihm bewunderten Gemälden sind nur noch die leeren Bilderrahmen geblieben. Ursprünglich hatte Doig geplant, sie – nach dem Muster eines Kunstkabinetts – mit eigenen Werken zu füllen. Geblieben ist nur noch eine Zeichnung, ein Palmen-Südseestrand, über den einsam ein Wanderer geht. Wir werden sie wiedersehen.

Doch nun hat Natur alles überwuchert. Satte grüne Wiesen, zwei windzerzauste Palmen am Horizont, der Himmel sanftblau, und das Ganze als dünner Farbauftrag über den leeren Bilderrahmen. Was drinnen, was draußen, ist nicht mehr zu unterscheiden. Seit der 1959 in Edinburgh geborene Peter Doig sich 2002 entschlossen hat, auf die Karibikinsel Trinidad zurückzukehren, wo er die ersten sechs Jahre seines Lebens verbrachte, ist Natur endgültig das beherrschende Thema seiner Bilder. 24 davon, die Produktion eines Jahres, zeigt die Kestner-Gesellschaft Hannover nach einer ersten Station in München nun in erweiterter Form. Da schlingen sich Farbbäche wie Lianen über die Leinwand, schimmern schlierige Öllachen wie Sümpfe, hell leuchten Palmenstämme aus dem Wald, und über allem funkeln die Sterne.

Doch von einer naiv-sentimentalen Südsee-Sehnsucht à la Paul Gauguin ist Peter Doig galaxienweit entfernt. Die Bilder des Realisten, der seit einer TurnerPreisnominierung vor zehn Jahren seinen Siegeszug durch alle Malerei-Ausstellungen der letzten Jahre angetreten hat, lehren vor allem eins: dass Abbildung nicht gleich Wirklichkeit ist, jedes Bild Kalkül und unsere Wahrnehmung unendlich trügerisch ist. Über die nächtliche Bucht von Monkey Island zum Beispiel legt er einen Schleier aus weißer Farbe, der den Besucher bewusst auf Distanz hält – und fängt das Bild am Rand mit einem schwarzen Balken auf. In „House of Pictures“ geben vier Fenster in einer bunten Mauer den Blick auf tiefblaue See samt Insel frei – oder sind es nur auf die Mauer geklebte Plakate? Fenster mit blauer Schutzfolie? Oder Spiegel? Der Strand jedenfalls ist auf unserer Seite. Nichts ist bei Doig, was es scheint.

Was vor allem der stupenden Technik geschuldet ist: Eine Vielzahl von Entwürfen, Skizzen, Zeichnungen legt auch in Hannover Zeugnis davon ab, wie kalkuliert die Bilder angelegt sind. Da sieht man, in „Lapeyrouse Wall“, einen alten Mann mit Sonnenschirm eine lange Mauer entlanggehen: Auf einer Skizze schlendert er, auf einer anderen steht er, mal erscheint hinter der Mauer (es ist die Mauer zu Trinidads größtem Friedhof) eine weiße Kirche, am Ende ist es ein rauchender Ozeandampfer. Und die Schatten, ursprünglich spielerisch-fleckig, laufen nun als scharfe Bänder jenseits des rechten Rands zusammen, was dem ganzen Bild Richtung, Dynamik, eine kippelnde Unruhe und eine schicksalhafte Überdeutlichkeit gibt. Tim Eitel, Eberhard Havekost und die anderen jungen deutschen Realisten haben hier viel gelernt – viel, doch nicht genug.

Denn in Doigs Bildern leben alle möglichen Geister, Schemen wie der einsame Wanderer am Strand, flüchtige Besucher dieser Welt. Solchen Besuch hat Peter Doig oft. Alle möglichen Wiedergänger aus der Kunstgeschichte finden sich in seinen Bildern. Nicht nur Daumiers Großstadtwanderer, Edvard Munchs verzerrte Schatten, Hoppers große Einsame oder Gauguins Südseeträume, sondern auch Gäste aus Film- und Populärkultur: Ein indischer Guru, den er einer Postkarte entnimmt und nachdenklich ins Meer setzt, wirkt dort geheimnisvoll wie der Geist aus der Flasche – und kehrt in anderem Kontext noch einmal wieder.

Seit einem Jahr betreibt Peter Doig in einer alten Rumfabrik in Port of Spain einen Studiofilmklub – und bestückt ihn wöchentlich mit selbstgemalten Plakaten. Der indische Guru ist dabei zum Evangelisten Matthäus mutiert, in der Ankündigung zu Pasolinis gleichnamigem Film. Auch sonst sind die Plakate, von denen in Hannover knapp zwei Dutzend gezeigt werden, eher malerischer Kommentar als Standbild, beziehen sich weniger auf konkrete Szenen als auf Stimmung und Essenz der Filme. Sie sind Dokument einer Cineasten-Leidenschaft, aber auch konsequente Weiterführung der Doigschen Verunsicherungspolitik: Was man sieht, ist nicht das, was ist. Selbst die Traumfabrik Film ist, was das Spiel mit Illusionen angeht, noch steigerbar.

DER MALER

Geboren 1959 in Edinburgh, verbrachte Peter Doig die ersten Lebensjahre auf der Karibikinsel Trinidad . 1966 zog er mit seinen Eltern nach Canada, 1979 zum Studium nach London. 1994 wurde er schlagartig bekannt, als er für den renommierten Turner-Preis nominiert wurde. Seit 2002 lebt er wieder auf Trinidad.

DER REALISMUS

Im Zuge der erneuten Diskussion um gegenständliche Malerei war Peter Doig in mehreren Großausstellungen vertreten, darunter „Lieber Maler, male mir...“ in Paris, Wien und Frankfurt und „Painting: From Rauschenberg to Murakami“ auf der 50. Kunstbiennale in Venedig 2003. Im gleichen Jahr richtete ihm das Bonnefanten-Museum in Maastricht eine Retrospektive aus.

DIE AUSSTELLUNG

ist bis 12. September in der Kestner-Gesellschaft Hannover zu sehen. Der Katalog (Walther König) kostet 20 €, im Buchhandel 32 €.

Christina Tilmann

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