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Italiener aus Mittelfranken. Singer/Songwriter Nevio.

© Doris Spiekermann-Klaas

Was macht eigentlich Nevio?: Gekommen, um zu bleiben

Mit einer Castingshow startete Nevios Karriere. Sieben Jahre später macht er immer noch Musik, als Singer/Songwriter. Gerade bereitet er sein erstes Album mit deutschen Texten vor – und hofft darauf, endlich das DSDS-Etikett loswerden.

Gleich sein erster Textlieferant hatte Format. Nevio Passaro geht in die fünfte Klasse, damals 1990, in Bad Windsheim, einer mittelfränkischen 12 000-Seelen- Gemeinde, und seine Hausaufgabe lautet: Hermann Hesses „Im Nebel“ auswendig lernen! „Voll von Freunden war mir die Welt, als noch mein Leben licht war ...“ Mühsam quält sich der Schüler mit dem weltschmerzlichen Gedicht – bis er anfängt, auf dem Klavier eine Melodie zurechtzufingern, die sich den Worten anpasst. Plötzlich bleiben die Verse im Gehirn haften, ein paar Begleitakkorde kommen dazu, fertig ist der erste Song.

Als die Mutter, eine Musiklehrerin, ihm Unterricht geben wollte, hatte er sich verweigert. Jetzt macht ihm die Tastenarbeit plötzlich Spaß, auch weil die Klassenkameraden beeindruckt sind, ja sogar anbieten, sein Promo-Team zu werden. Bald gibt es auf dem Pausenhof die ersten Nevio-Kassetten zu kaufen, handkopiert, das Stück für fünf Mark.

Eine Karriere kündigt sich an, der Teenager tingelt durch die Pizzerien der Gegend, spielt alles, was die Leute von einem wuschelhaarigen Halbitaliener hören wollen. Mit 19 dann kann er eine erste Single veröffentlichen – doch dann meldet die deutsche Seele in seiner Brust sich zu Wort: Er beginnt erst einmal ein seriöses Studium, sicherheitshalber. In Bologna büffelt er für den Diplom-Dolmetscher- Abschluss, in seinen beiden Elternsprachen, aber auch in Französisch und Englisch. Um in Bologna nicht ganz aufs Musikmachen verzichten zu müssen, wechselt er vom immobilen Klavier zur transportablen Gitarre.

Irgendwann kommt dann der Anruf vom Vater, der Nevio von dieser Castingshow im deutschen Privatfernsehen erzählt, die jeden Samstag Millionen Zuschauer einschalten: „Das wär doch was für dich! Ich hab dich auch schon angemeldet.“

In der dritten Staffel von „Deutschland sucht den Superstar“ kommt der Student mit dem entwaffnend fröhlichen Naturell gut an, passiert mühelos die Vorrunden, hält noch lange mit in den finalen Motto- Shows. Am Ende siegt zwar ein gewisser Tobias Regner – Gewinner der Herzen aber ist im Jahr 2006 Nevio, der Viertplatzierte. Darum bietet ihm die Firma von DSDS-Boss Dieter Bohlen auch einen Vertrag an. Er aber lässt sich von der Konkurrenz abwerben, vom Branchenriesen Universal, landet mit „Amore per sempre“ sofort auf Platz zwei der Charts, schiebt ein Album nach, das sich 19 Wochen in der Rangliste der bestverkauften CDs hält, ruckzuck Goldstatus erreicht. 2008 folgt ein weiteres Album. Dann aber wird es still um Nevio, zumindest in der Boulevardpresse und den Jugendmagazinen.

Denn er hat natürlich immer weitergemacht. Weil er ohne Musik gar nicht kann. Wer Nevio im November 2013 trifft, lernt einen überraschend reflektierten Künstler kennen. Einen Singer/Songwriter aus dem Mainstream Pop, der sein Ding durchzieht. „Ich habe früh gemerkt, dass ich kein Interpret von fremden Inhalten sein kann“, sagt er – und meint damit jene Schlager-Marionetten, die willig alles trällern, was ihre Plattenfirma ihnen vorsetzt. Nevio dagegen hat seit Hermann Hesse keine Zulieferer mehr akzeptiert, er singt nur, was er selber getextet und in Töne gefasst hat. Weil er es sich leisten kann. Der 33-Jährige ist durchaus stolz darauf, „ordentliches Mitglied“ der Gema zu sein. Bei der Organisation, die sich um die Verwertungsrechte der Künstler kümmert, wird das nur jemand, der in fünf Jahren insgesamt mindestens 30 000 Euro Tantiemen kassieren konnte.

Dass viele Sender regelmäßig seine Songs spielen, sichert Nevio ein Grundeinkommen. Dank der Gema kann er ohne Druck an neuen Projekten arbeiten. Dass es andererseits aber auch Radiostationen gibt, die sich Neues von Nevio gar nicht erst anhören wollen, weil er mal bei Dieter Bohlen mitgemacht hat, ärgert ihn umso mehr. „Ich will doch nur Respekt für meine Kunst“, sagt er, „ohne dass hinter meinem Namen in Klammern immer ,DSDS’ steht.“

Die schrille Castingshow hat ihn bekannt gemacht, ihm Türen geöffnet. Aber sie wirkt eben auch wie ein Brandmal: Wer einmal dabei war, gehört zur Herde. „Ist der Fleck erst in der Hose, ist er nicht mehr rauszureiben“, singen Wir sind Helden. „Entschuldigung, ich glaub, wir sind gekommen um zu bleiben.“

Als der heftig von allen Medien umworbene Jungstar 2007 von Franken nach Berlin zieht, wird er mit einem Feuerwerk empfangen: Es ist der 31. Dezember, weil keiner seiner Kumpels Silvester auf der Autobahn verbringen will, lenkt er den Miet-Lkw ganz alleine in die höllisch böllernde Hauptstadt. Die Dachgeschosswohnung in Prenzlauer Berg bleibt dann aber doch leer, weil er keine Lust hat, seinen Krempel raufzuschleppen, sondern alles einfach im Keller einlagert. Er ist damals sowieso ständig unterwegs. Und wenn es mal ein paar freie Tage gibt, hockt er in dem Studio, das er sich vom ersten großen Geld eingerichtet hat. Hier entsteht 2011 seine dritte CD, bei der er auch als Produzent fungiert. Obwohl jetzt die Werbe-Maschinerie einer großen Firma im Rücken fehlt, bringt die Veröffentlichung ihm mehr Gewinn ein als sein Gold-Album – weil die Multis ihre pompösen Promotionaktionen natürlich mit den Verkaufseinnahmen verrechnen.

Auch wenn Nevio keine Hallen mehr füllt, auf seine treuen Fans kann er sich verlassen. Die werden am Freitag, den 13. Dezember, den Frannz-Club füllen, bei seinem „Glück im Unglück“-Konzert. Vielleicht kommen sie auch schon am heutigen Sonntag ins Hotel Estrel, wenn er beim Abschlusskonzert des Youth-Gospelchoir-Projekts dabei ist. Kurz vor Weihnachten steht dann noch ein Auftritt in Prenzlau an. Beim brandenburgischen Landesrockwettbewerb ist er der Stargast, neben dem Vorjahressieger Hippie Langstrumpf.

Dieser Gig könnte vorerst der letzte sein, bei dem Nevio auf Italienisch singt. Denn eigentlich ist er derzeit total ins Deutsche verknallt. Im letzten Urlaub, unter südlicher Sonne im Ferienhaus seiner Familie im Cilento, fing Nevio an, mit Texten in der Sprache seiner Mutter zu experimentieren – und entdeckte eine neue Ausdrucksform für sich. „Geleitet von den Worten veränderte sich meine Musik. Für italienischen Reime braucht man immer reiche Harmonien, auf Deutsch konnte ich plötzlich viel reduzierter komponierten.“ Und noch einen Vorteil hat der Sprachwechsel: dass die Leute seinen Gedanken folgen können. „Auch wenn meine italienischen Texte vielleicht genauso witzig oder provokant sind, bleiben sie für alle, die kein Italienisch können, letztlich nur Transportmittel für Emotionen.“ Wann der „deutsche Nevio“ debütieren wird, steht noch nicht fest. Derzeit feilt der Sänger intensiv an den Songs. In der Hoffnung, dass es ihm mit dem Sprachwechsel gelingen wird, die bösen DSDS- Geister endlich abzuschütteln.

Konzerte: Hotel Estrel, am 8. 12. un 18 Uhr (mit dem Youth-Gospelchoir) sowie im Frannz Club am 13. 12. um 20 Uhr.

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