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Kultur: Was macht Goethe in Kabul, Herr Leonhard?

Joachim-Felix Leonhard (55) ist seit 1. Oktober 2001 Generalsekretär des Goethe-Instituts Inter Nationes.

Joachim-Felix Leonhard (55) ist seit 1. Oktober 2001 Generalsekretär des Goethe-Instituts Inter Nationes. Zuvor leitete der Bibliothekar und Rundfunkhistoriker zehn Jahre lang das von der ARD getragene Deutsche Rundfunkarchiv in Frankfurt am Main und Potsdam-Babelsberg. Neben zahlreichen wissenschaftlichen Tätigkeiten war er von 1996 bis 1999 Präsident der Deutschen Gesellschaft für Informationswissenschaft. Derzeit ist Leonhard unter anderem Vorsitzender des deutschen Nominierungskomitees zum Unesco-Programm "Memory of the World" sowie Honorarprofessor an der Berliner Humboldt-Universität für Neuere und Neueste Geschichte. Bei seiner Wahl zum Nachfolger von Joachim Sartorius im Januar 2001 vergangenen Jahres zeigte sich der scheidende Goethe-Präsident des Goethe-Instituts Hilmar Hoffmann erfreut über die idealen Voraussetzungen des "ausgewiesenen Kulturpolitikers und Managers im öffentlich-rechtlichen Umfeld".

Sie sagen, das Goethe-Institut Inter Nationes müsse künftig weniger auf einer Einbahn- als auf einer Zweibahnstraße fahren. Was heißt das konkret?

Die Deutschen sind Weltmeister im Reisen, aber mit der Sprache und Kultur des jeweiligen Landes, also mit dem Anderen, setzen wir uns zu wenig auseinander. Es stellt sich die Frage, was eigentlich im Zeitalter der Globalisierung in deutschen Schulbüchern über den Islam oder die so genannte Dritte Welt steht. Wie sehr sind wir mit uns selbst beschäftigt? Und sind wir in der Lage, die Bilder der "Tagesschau" richtig einzuordnen, wenn Programme wie der "Kulturreport", der manches genauer analysiert, erst am Sonntag nach 23 Uhr gesendet werden? Auswärtige Kulturpolitik beginnt im Inland.

Sie beklagen sich über den unklaren politischen Auftrag für die auswärtige Kulturarbeit. Aber seit dem 11. September hat man umgekehrt den Eindruck, dass auch das Goethe-Institut für den "Dialog der Kulturen" instrumentalisiert wird.

Geht dieser Dialog wirklich von gleicher Augenhöhe aus oder ist er eher doch ein europäischer Monolog? Mir ist der pragmatische Begriff der interkulturellen Zusammenarbeit lieber. Es geht um nachhaltige, Kontinuität versprechende Projekte, angefangen beim Jugendaustausch über Sprachstipendien bis zu künstlerischen Festivals. Wenn wir zum Beispiel im Rahmen der Fußballweltmeisterschaft 2006 mit dem DFB zusammenarbeiten werden und Kulturfestivals an den deutschen Spielorten veranstalten, wollen wir damit auch der deutschen Öffentlichkeit einen umfassenden Begriff unserer Auslandsarbeit vermitteln. Vielleicht werden ausländische Besucher der WM ihr Deutsch bei uns gelernt haben - mit neuem Lehrmaterial unter dem Titel "Der Ball ist rund" - wie der Erdball.

Die Zahl der Deutschlernenden geht in Westeuropa zurück. Versteht es das Goethe-Institut noch als seine vordringliche Aufgabe, die deutsche Sprache im Ausland zu verbreiten?

Sprache ist und bleibt zentraler Bestandteil unseres Auftrags. In Großbritannien lernen heute nur noch 1,5 Prozent der Absolventen höherer Schulen eine Fremdsprache. Wenn das so weitergeht, wird Großbritannien in zehn Jahren ein monolinguales Land sein. Das kann weder in britischem noch in deutschem Interesse sein. Deshalb werben wir an den britischen Schulen für Deutsch oder auch in Finnland, etwa mit einem Hip-Hop-Lernprogramm. In Mittel- und Osteuropa nimmt die Zahl der Deutschlernenden übrigens wieder zu, weil dort viele junge Leute für ihre berufliche Zukunft Fremdsprachen lernen. Deutschland ist ein EU-Land und - was die neuen Bundesländer betrifft - zugleich ein Transformationsland. Daraus ergibt sich eine besondere Mittlerfunktion gegenüber den EU-Beitrittsländern.

Das Goethe-Institut wendet sich zunehmend privaten Investoren und der Wirtschaft zu. Ist das eine Liaison aus finanzieller Not oder ein Signal im Zeitalter der Globalisierung?

Deutschland ist als Kulturnation auch ein Studien- und Wirtschaftsstandort. Wenn aus dieser Situation ein finanzieller Vorteil erwächst, ist es sicher sinnvoll, die Wirtschaft anzusprechen und etwa Verlage um Patenschaften für einen Lesesaal zu bitten. Wir wollen auch mit Hochschulen kooperieren, zumal an der deutsch-polnischen und der deutsch-tschechischen Grenze, etwa mit der Universität Frankfurt an der Oder, an der 40 Prozent der Studenten aus Polen kommen. Und wir finden, dass es nicht genügt, wenn Green-Card-Anwärter mit Englisch oder Pflegekräfte aus dem Ausland nur mit ihrer Heimatsprache zu uns kommen. Die brauchen für ihre Arbeit und ihr tägliches Leben bei uns auch Deutschkenntnisse. Die Pisa-Studie mit ihrem Befund der mangelnden sprachlichen Integration von Ausländern muss nicht nur die Bildungspolitik, sondern auch die Wirtschaft interessieren.

Der Geist geht nicht mit der Macht, war viele Jahre die Devise des Goethe-Instituts. Gibt man nicht seine Unabhängigkeit auf, wenn man sich zwecks "Konfliktvermeidung" politisch funktionalisieren lässt?

Wir haben einen politischen Auftrag und die Verantwortung für den Einsatz öffentlicher Mittel. Daraus ergibt sich eine Funktion, die wir wahrnehmen, ohne uns parteipolitisch funktionalisieren zu lassen. Natürlich kann ein Kulturinstitut Terrortaten wie die vom 11. September nicht verhindern. Aber: In der kulturellen Krisen- und Konfliktprävention steckt eine wichtige politische Dimension unserer Arbeit. Diese nehmen wir im Unterschied zum Institut Français und dem British Council als eingetragener Verein wahr: in staatlichem Auftrag, aber regierungsfern. Als Beispiel kann unsere Arbeit in Mittel- und Osteuropa oder den GUS-Staaten gelten, wo wir trotz eines bisher relativ dünnen Netzes mit nur zwei Instituten in ganz Russland, in Moskau und St. Petersburg, nachhaltig an dem politisch-kulturellen Transformationsprozess mitwirken.

Sie wollen das geschlossene Institut in Kabul wiedereröffnen. Was will Goethe dort konkret unternehmen, oder auch in Ländern wie Pakistan oder dem Iran?

In Kabul wollen wir an die gute afghanisch-deutsche Tradition anknüpfen und uns am kulturellen und damit politischen Wiederaufbau beteiligen. Die Institute dort, auch in Algier oder Teheran, sollen sich an der kritischen Öffentlichkeit ihrer Gastländer beteiligen, wie es in vielen Ländern seit Gründung des Goethe-Instituts vor 50 Jahren der Fall war und ist. Allerdings wollen wir niemanden missionieren: Wenn wir vom Werte-Diskurs reden, dann muss unser erster Wert die Anerkennung der Verschiedenheit sein. Was die Toleranzfrage angeht, sind wir im Grunde nach wie vor in der Situation von Lessings "Nathan".

Ein bisschen mehr Lessing bei Goethe?

Wenn es um Offenheit und Toleranz geht, warum eigentlich nicht? Wir dürfen dabei aber nicht nur die Eliten ansprechen, sondern wollen möglichst breit wirken. Die Goethe-Institute werden in Zukunft mehr als Agenturen und Relais-Stationen fungieren, mehr als Mittler, denn als Macher. Dabei setzen wir auch auf prominente Identifikationsfiguren. Es ist schon wichtig, dass zum Beispiel der deutsche Nationalspieler Gerald Asamoah aus Ghana im Goethe-Institut in Accra Trikots an Kinder verteilt, die ein paar Jahre später zurückkommen, um bei uns Deutsch zu lernen. Viele der Bundesligastars haben übrigens im Goethe-Institut Deutsch gelernt.

Was genau sind "toleranzorientierte Programme"?

Es geht um Foren des Austauschs. Wir hatten Ende Oktober 2001 ein Symposium in München mit Intellektuellen aus verschiedenen islamischen Ländern zu Themen wie "Ursachen des Fundamentalismus" oder "Chancen der Zivilgesellschaft". Die Teilnehmer sind in ihre Länder zurückgekehrt und wirken dort als Multiplikatoren. An den Instituten von Kairo, Amman, Damaskus, Beirut oder Karachi wollen wir mit Mitteln aus dem Anti-Terrorpaket Übersetzungsprogramme, Autorentreffen oder Besucherprogramme durchführen. Aber es geht nicht nur um diskursive, sondern auch um ästhetische Programme wie Film, Musik und Tanztheater. Oder so schlichte Dinge wie Zeitungslektüre: In unserer Bibliothek in Kairo werden Zeitungen nur noch gegen Ausweis ausgegeben, weil Ägypter in übergroßer Zahl in der deutschen Tagespresse lesen wollen, wie wir sie in der aktuellen Situation sehen.

"Goethe" will mehr mit den anderen europäischen Kulturinstituten zusammenarbeiten. Wie wird das aussehen?

Wir haben im Dezember in Brüssel gemeinsam mit dem British Council und dem Institut Français darüber diskutiert, ob wir nicht eine europäische Kulturzeitschrift ins Leben rufen. Manche Projekte kommen ganz pragmatisch zustande: In Kiew gibt es ein gemeinsames neues Haus mit den Briten, das spart Kosten. In Schanghai bauen wir und die Briten leider gerade jeder für sich schon früher geplante Häuser. Wäre es nicht besser, wir würden uns zusammentun - nicht nur wegen der hohen Grundstückspreise? In Moskau möchten wir gerne mit den Franzosen ein gemeinsames europäisches Haus eröffnen. Dabei geht es um mehr als nur die Immobilie, sondern um gemeinsame Arbeit, etwa an Schlüsselthemen wie europäische Migration oder Bio-Ethik. Ziel ist die Zusammenfassung der individuellen europäischen Sprachen und Kulturen zu einer pragmatischen europäischen Kulturpolitik. Also Gemeinsamkeit ja, Vereinheitlichung nein.

Sie wollen auch mehr mit inländischen Institutionen kooperieren, mit der Berliner Akademie der Künste oder der Stiftung Weimarer Klassik.

Auch das fördert den Zweibahnverkehr. Bisher gibt es eine klare Trennung zwischen auswärtiger und inländischer Kulturpolitik. Das ist zu bedauern, auch aus der Sicht des Arbeitskreises selbstständiger Kulturinstitute ASKI, zu dem 30 bedeutende Kulturinstitute gehören. Wenn eine dieser Einrichtungen eine interessante Ausstellung macht, warum sollte die nicht über das Goethe-Institut ins Ausland gehen?

Relaisstation, Corporate Design, Nachhaltigkeit - die von Ihnen verwendeten Begriffe klingen sehr nach modernem Management. Wie viel Zeitgeist muss sein, wie viel Widerstand muss sich "Goethe" gleichzeitig gegen ihn leisten?

Nichts gegen modernes Management! Zeitgeist ist weniger unser Fall, und bei parteipolitischen Vorgaben werden wir uns immer sperren. Wir müssen den öffentlichen Diskurs kritisch begleiten. Unsere Arbeit ist darauf ausgerichtet, die wirklich brennenden Fragen von den reinen Zeitgeist-Aufgeregtheiten zu trennen. Das kann man am Bio-Ethik-Thema studieren, wo Modisches mit Grundsätzlichem oft verwechselt wird. Uns interessiert die Frage: Was ist der genuine Beitrag aus Deutschland zu diesem Thema, und mit welchen internationalen Perspektiven können wir ihn in Verbindung bringen? Schließlich sind wir ja mitten in der globalen Werte-Diskussion.

Wo setzt die Kritik am öffentlichen Diskurs denn an?

Wir brauchen nicht nur mehr Lessing, sondern, wenn Sie so wollen, auch mehr Kant. Die Ideen der Aufklärung sind etwa in der Auseinandersetzung zwischen Nordamerika und dem Fundamentalismus wichtig. Wir Europäer sollten unsere Errungenschaften gegen jedes Kreuzzugs-Denken halten und auch unbequeme Diskussionen führen, bei der Bioethik genauso wie bei der Frage des Nord-Süd-Gefälles. Die Politik hat Afrika, so scheint es manchmal, fast schon vergessen. Wir müssen hier gewissermaßen als Gedächtnis der Kultur wirken und nicht nur unser Institut in Kabul wiedergründen, sondern eines Tages auch das in Daressalam.

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