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Kultur: Was motiviert die Mörder auf dem Balkan, Herr Parin?

Paul Parin wurde 1916 in Slowenien als Sohn eines Gutsbesitzers geboren und wuchs in einer multikulturellen Umgebung auf.Der studierte Mediziner und Chirurg schloß sich 1944 aus Protest gegen den Nationalsozialismus Titos Partisanen an und arbeitete ein Jahr lang als Lazarettarzt an der Front.

Von Caroline Fetscher

Paul Parin wurde 1916 in Slowenien als Sohn eines Gutsbesitzers geboren und wuchs in einer multikulturellen Umgebung auf.Der studierte Mediziner und Chirurg schloß sich 1944 aus Protest gegen den Nationalsozialismus Titos Partisanen an und arbeitete ein Jahr lang als Lazarettarzt an der Front.1952 eröffnete der kulturhistorisch wie ethnologisch Forschende in Zürich eine psychoanalytische Praxis.Gemeinsam mit seiner Frau, Goldy Parin-Mathey, unternahm

er zahlreiche Forschungsreisen nach Westafrika, wo er ethno-psychoanalytisch arbeitete und sich etwa mit Fragen der Aggression in verschiedenen Kulturen auseinandersetzte.Parin veröffentlichte zahlreiche kulturkritisch-psychoanalytische Werke, darunter "Die Weißen denken zu viel" (1963), "Der Widerspruch im Subjekt" (1978) oder seine Partisanen-Erinnerungen "Es ist Krieg, und wir gehen hin" (1992).Wiederholt äußerte er sich zu politischen und ethno-psychoanalytischen Fragen des Balkan-Konflikts, über den er zuletzt 1996 einen spektakulären Essay verfaßte (In: "Die Ethnisierung der Politik am Beispiel Serbiens", herausgegeben von Emilo Modena, Psychosozialverlag, Gießen).

TAGESSPIEGEL: Was geschieht auf dem Balkan? Ist es ein ethnischer Konflikt, also einer zwischen Volksgruppen?

PARIN: Er wird als solcher ausgewiesen, und Sie fragen mich als Ethnologen - aber es handelt sich um einen politischen Konflikt, der mit Bedacht ethnisiert wird.Die ethnischen Gegensätze und Spannungen sind Resultat der Politik, nicht umgekehrt.Das hat alte historische Ursachen.Mehrfach wurde das Land sozusagen "ethnisch aufgespalten" - im Zweiten Weltkrieg und später unter Tito, als er die Spannungen zwischen Serben und Kroaten erkannte.Aber anstatt echte Selbstverwaltungen und das Einüben in demokratische Prozesse zu fördern, hatte doch die Partei ihre zentralistische Hand über allem.Gegensätze wurden nicht ausgetragen, erlebt und reflektiert.

TAGESSPIEGEL: Im Westen entsteht das Bild barbarischer, primitiver Balkanvölker, Karl-May-Namen wie "Arkan" und seine "Tiger" machen ihren Weg sogar in unsere Nachrichten.

PARIN: Das zeigt, wie wir uns an Klischees orientieren, wie wir die Ethnisierung des Konflikts konstruieren, anstatt die historischen und politischen Gründe zu erforschen.Der Westen ignoriert, daß er jahrelang eine Chance verpaßt hat: etwas zu tun für die Kosovo-Albaner, die friedlich und im Sinne Gandhis Widerstand gegen Milosevics Regime, seine Fassadendemokratie, leisteten, ebenso wie für die Tausende Oppositioneller, die noch vor zwei Jahren in Belgrad gegen das Regime auf die Straße gingen.Jetzt hat eine andere Generation meist sehr junger Leute bei den Kosovo-Albanern das Sagen.Waffen bekamen oder kauften sie aus den Arsenalen des zerfallenden Albanien, und der friedliche Widerstand hat ein Ende.

TAGESSPIEGEL: Waren westliche Politiker naiv? Oder blind?

PARIN: Sie haben Slobodan Milosevic immer wieder als "unverzichtbaren Verhandlungspartner" bezeichnet und offenbar lieber mit einem Diktator verhandelt als mit einer diffusen Gruppe von Dissidenten.Bei Milosevic wußten sie, woran sie waren.

TAGESSPIEGEL: Und haben ihn darum geduldet?

PARIN: Ja, und da zeigt sich schon eine Analogie zum Umgang mit Hitler.Vielleicht ist es Unfähigkeit, die aufgebauten Spannungen, die Gefahren zu erkennen und sich einzufühlen in die Situation.

TAGESSPIEGEL: Oder ein Diktator ist das bequemere Gegenüber: berechenbar, instrumentalisierbar?

PARIN: Sicher spielt das eine Rolle.So haben es die ehemaligen Kolonialmächte gehalten.Denken Sie daran, wie die demokratischen Franzosen afrikanische Potentaten wie Mobutu geduldet und unterstützt haben.

TAGESSPIEGEL: Was hat die Situation in Jugoslawien so explosiv werden lassen?

PARIN: In der Anomie, also der Struktur- und Gesetzlosigkeit, scheinen religiös gefärbte, nationalistische Emotionen einen Ausweg zu bieten, das nutzen Demagogen für ihre Zwecke.Mithilfe der Massenmedien läßt sich heute sehr schnell aus einem Nachbarn ein Gegner und Feind konstruieren.Vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges, als die Massenmedien begannen, sich zu entwickeln, dauerte es immerhin zwei Wochen, um der Bevölkerung den Gedanken einzupflanzen, Engländer seien Erzfeinde.Die eigene Nation ist großartig, die anderen sind ihre Widersacher, und das schlichte Bild verfängt selbst da, wo Aufklärung schon fortgeschrittener war.Die Serben betrachten sich heute als "Heilige Nation".Anstatt ein Niemand zu sein, kann sich das Mitglied einer solchen "Nation" enorm narzißtisch erweitern.

TAGESSPIEGEL: Muß aber auf vieles andere verzichten - Vertrauen, Freundschaft, Demokratie, Liebesfähigkeit.

PARIN: Die - nicht nur auf dem Balkan - mit sadistischer Intensität ausgetragenen Gegensätze scheinen so befriedigend für die Machthaber, daß sie zum Beispiel auf libidinöse Objektbeziehungen zu verzichten bereit sind.Macht korrumpiert in vielerlei Hinsicht.

TAGESSPIEGEL: Was befriedigt so sehr an der Macht, wo liegt ihr Gewinn für den Machthaber?

PARIN: Über diese zentrale Frage wissen wir noch viel zuwenig.Mit Wilhelm Reichs Studien zur Massenpsychologie gab es Ansätze schon vor dem Zweiten Weltkrieg, schon vor dem Faschismus.Die Linke hat stets behauptet, es ginge bei Macht nur um wirtschaftliche Interessen.Doch es geht dabei eindeutig auch noch um andere Aspekte.Eine weiterführende politische Psychoanalyse oder eine Psychoanalyse der Politik gibt es leider immer noch nicht.Es wird höchste Zeit, daß wir uns mehr damit befassen.Macht korrumpiert offenbar fast immer, und wer sich nicht von der Macht korrumpieren läßt - denken Sie an eine Ausnahme wie Willy Brandt -, den beseitigt man, indem man ihn über ein Hindernis stolpern läßt.Er hält sich nicht an stillschweigende Übereinkünfte aller Machthaber, an deren Spielregeln.

TAGESSPIEGEL: Wir kennen das Gesicht der Macht, etwa im aktuellen Konflikt.

PARIN: Es ist krude.Die Machthaber sind voller Kalkül.In den vom balkanischen Machismo geprägten Gesellschaften und ungehindert vom Westen konnte jemand wie Milosevic gedeihen, sich seine paramilitärischen Truppen, seine Privat-SS aufbauen.Er steht seinerseits einer Kleptokratie voran, der es auch um anderes geht als nur die Nation.Systematisch wird geplündert, und die verkommene, nachkommunistische Nomenklatura nutzt ihre Militärs für ihre Zwecke.Schon vor vielen Jahren habe ich vorausgesagt, und das auch geschrieben, daß Milosevics letzter Kampf der um das Kosovo sein würde.Er hat nichts mehr zu verlieren.

TAGESSPIEGEL: Unterstützt von seiner Bevölkerung: Serbische Kinder verbrennen öffentlich Dollarscheine und US-Flaggen, Erwachsene trampeln auf Modellen von Kriegsflugzeugen herum.Die Massen demonstrieren mit Symbolhandlungen für ihren Diktator.

PARIN: Soweit ist es.Milosevic konnte zwischen 1986 und 1991 systematisch seine Macht ausbauen und durch das Gleichschalten der Medien die Köpfe gleichschalten.Jetzt ist er beliebt.Erinnern Sie sich an Margaret Thatcher vor dem Falkland-Krieg: da waren nur 32 Prozent der Briten von ihr überzeugt, ihre Beliebtheit war auf einem Tiefpunkt.Während dieses Krieges, der immerhin 800 Tote und vier Milliarden britische Pfund kostete, stieg ihre Beliebtheitsskala enorm, auf 80 Prozent.

TAGESSPIEGEL: Hier kämpfen Männer.Oft ist von Machismo die Rede.Was unterscheidet balkanischen Machismo von anderen Machismen?

PARIN: Er hat andere Ursprünge als etwa der spanisch-mediterrane, er erhält seine Orientierung eher aus Rußland.Die serbischen, genossenschaftlich organisierten Großfamilien mit dem Patriarchen als Familienoberhaupt sind sehr auf diese zentrale Figur ausgerichtet.

TAGESSPIEGEL: Da wird der Vater zum Übervater der Nation.Hängen Patriarchat und Nationalismus zusammen?

PARIN: Ja und nein.Der Fall Franco zum Beispiel lag im Prinzip nicht anders.Und immerhin hat sich gezeigt: Ein Übergang vom Faschismus zur Demokratie funktioniert auch in einem machistischen Land.

TAGESSPIEGEL: Hoffnung?

PARIN: Was soll man im Augenblick sagen?

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