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Kultur: Was sind die Aufgaben eines modernen Museums?

Peter Weibel, Avantgardist, betrat 1968 die Kunstszene an der Hundeleine der Performancekünstlerin Valie Export. Danach widmete sich der 1944 in Odessa geborene Mathematiker als Medien- und Aktionskünstler, Digitaltheoretiker und Ausstellungsmacher stets den avanciertesten Positionen im Neuland der Kunst und der Neuen Medien: etwa als Leiter der "ars electronica" in Linz, als Kurator beim "Steirischen Herbst" oder als Professor für visuelle Mediengestaltung in Wien.

Peter Weibel, Avantgardist, betrat 1968 die Kunstszene an der Hundeleine der Performancekünstlerin Valie Export. Danach widmete sich der 1944 in Odessa geborene Mathematiker als Medien- und Aktionskünstler, Digitaltheoretiker und Ausstellungsmacher stets den avanciertesten Positionen im Neuland der Kunst und der Neuen Medien: etwa als Leiter der "ars electronica" in Linz, als Kurator beim "Steirischen Herbst" oder als Professor für visuelle Mediengestaltung in Wien. 1989 war Weibel Mitbegründer des Frankfurter Instituts für Neue Medien. Anfang 1999 übernahm er als Nachfolger des kürzlich verstorbenen Gründungsdirektors Heinrich Klotz die Leitung des Zentrums für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe (ZKM), dem seit letztem Jahr das "Museum für Neue Kunst" angegliedert ist. Bei der Biennale in Venedig betreute er zum vierten Mal den österreichischen Pavillon. Weibels Bemühen gilt einer virtuellen Kunst ohne Objektcharakter. Mit Peter Weibel sprach Ronald Berg.

"Medienkunst" gilt als die Kunstform der Zukunft. Wie kann sich das in einem Museum darstellen?

Mein Ziel ist es, das Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe zu einem museologischen Leitmodell zu machen. In Deutschland hat noch keiner begriffen, dass die Aufgabe eines modernen Museums darin besteht, Partner bei der Produktion von Kunst zu sein. Außerdem muss es Sparten übergreifend arbeiten: nicht nur Malerei und Skulptur, sondern auch Fotografie, Film, Video, Computer, Aktion, Performance, Installation, Architektur, Design. Nur so kann das Museum den künstlerischen Praktiken seiner Zeit folgen. In Deutschland gibt es eigentlich gar kein Museum für moderne Kunst, sondern nur für moderne Malerei. Heinrich Klotz hat als Gründer des ZKM zwar die traditionellen Künste und die neuen Medien zusammengebracht, aber die Architektur draußen gelassen. Eine Besonderheit am ZKM ist außerdem die Musik. Denn die Praxis zeigt: Das Bild kommt heute nicht ohne Ton aus. Das war also eine folgerichtige Erweiterung. Allerdings hat das ZKM die Netzphase verschlafen. Deshalb zeigen wir gegenwärtig die Ausstellung "net-condition" mit Arbeiten, die über das Netz gesteuert werden. Hier versammelt sich die augenblickliche Avantgarde.

Aber das Karlsruher Zentrum ist zugleich auch ein traditionelles Museum?

Das ist nur eine seiner Möglichkeiten. Das Museum der Zukunft muss zusätzlich zum Produzenten und zur Forschungsstätte werden. Die Medienkünstler brauchen Partner, schließlich sind ihre Produktionskosten enorm hoch. Dazu gibt es heute schon Ansätze: Auftragswerke wie bei Oper und Theater. Das gleiche wird in der Medienkunst passieren. Ich will deshalb auch das Artist-in-Residence-Programm des ZKM erweitern. Wir sind das erste Museum, das Wissenschaftler anstellt, um Grundlagenforschung zu betreiben. Deshalb passt auch der Name "Zentrum" viel besser.

Die moderne Kunst hatte bisher immer die Tendenz, sich zu entgrenzen: über die Gattungen hinaus, ins Leben hinein. Warum wollen Sie sie nun wieder in einen institutionellen Rahmen zurückholen?

Die Kunst braucht die Einbindungen. Es gibt marktbezogene Kunst und die Kunst der offenen Handlungsfelder. Deren Ergebnisse kann man nicht vermarkten. Deshalb muss die Gesellschaft bereit sein, ihnen einen anderen institutionellen Rahmen zu geben. Es gibt gerade im Bereich der Avantgarde viele Kunstpraktiken, die nicht marktfähig sind, sozusagen Grundlagenkunst. Diese muss wie die Grundlagenforschung von der Gesellschaft basisfinanziert werden. Das ZKM ist gleichsam das Max-Planck-Institut für Avantgarde-Kunst.

Warum geht es bei den Neuen Medien vor allem darum, den Körper zu verlassen?

Ich erkläre das mir so: Raum und Zeit sind für den Menschen Gitterstäbe, die Welt ist also ein lokales Gefängnis. Mit der Technik hat man versucht, sich aus diesem Gefängnis zu befreien. Die Schrift war die erste dieser Erfindungen: Ich konnte über etwas berichten, was zeitlich vergangen und räumlich nicht anwesend war. Jede Technik ist Teletechnik: Es geht immer um die Überwindung von Grenzen. Das größte Gefängnis aber ist der Körper. Er ist der Ort, wo die Natur zuschlagen kann: Sie macht uns krank. Dass unser kostbarstes Organ, dasGehirn, nur von einer dünnen Knochenschale umgeben ist, erscheint mir wie eine Fahrlässigkeit der Natur. Die Frage lautet also: Wie könnte ich mir eine Backup-Kopie von meinem Gehirn machen, damit nicht schon durch einen einzigen Sturz die mentalen Fähigkeiten verloren gehen? Wie kann ich dieses System der Natur verbessern?

Was ist dann die Aufgabe der Kunst? Befördert sie die Beherrschung der Natur oder reflektiert sie diesen Prozess?

Kunst hat beide Funktionen. Als Recherche befördert sie die Technik. Die Medien helfen, die technologische Entwicklung zu entdecken und begleiten sie gleichzeitig kritisch. Die Aufgabe der Kunst besteht darin, Türen zu öffnen, wo sie keiner sieht. Der Künstler hält optionale Handlungsfelder offen - als kritischer Spiegel oder utopisches Reservoir. Die Gesellschaft schafft sich in Galerien und Museen mit der Kunst einen institutionellen Rahmen, wo andere Produktionsweisen und Weltsichten möglich sind. Dort sammelt sich kritisches Potenzial, mit dem gängige gesellschaftliche Institutionen untersucht beziehungsweise transformiert werden.

Welche Wirkung hat diese kritische Kunst, wenn die Gesellschaft sie in einen autonomen Raum stellt, damit sie sich nicht ernstlich damit befassen muß. Das Museum verkommt dabei doch zum Event-Center einer Tourismusbranche.

Das ist nur ein Teil der Kunst. Die Kunst als Expertin für Vergangenheit. Alles was gesellschaftlich überflüssig wird, daraus macht man Kunst. Wenn man beim Bauen mehr mit Stahl und Glas arbeitet, dann wird der Ziegel kunstfähig. Der Großteil der Kunst ist doch zuständig für Gefühlskitsch und die nostalgische Erinnerung an vergangene Produktionsformen. Mich interessiert dagegen die kritische Kunst. Auch sie hat unsichtbare Grenzen. Eine Bank in Berlin zum Beispiel leistet sich gleichzeitig einen Kunstraum, in dem ein kritischer Künstler auftritt. Die Gesellschaft läßt Kritik in einem Ghetto also zu. Kunst selber muss jedoch ein Feld offener Praxis werden, wo sie die unsichtbaren Grenzen zu überschreiten versucht.

Sehen Sie Ihren Job als ZKM-Chef also als Verlängerung Ihrer früheren Aktionskunst mit anderen Mitteln?

Ich suche mir in der Hauptsache Künstler aus, die progressive Ansätze der sechziger und siebziger Jahre unter neuen Bedingungen fortsetzen. Das Neue verdrängt das Alte nicht. Im Gegenteil: Das Neue ermöglicht die Wiederkehr des Alten, weil nur durch den Blick nach hinten etwas entsteht, was man Tradition nennen kann. El Grecos Expressionismus ist zum Beispiel erst im 20. Jahrhundert erkannt worden. Auch die berühmten schwarzen Bilder von Goya waren im 19. Jahrhundert geradezu unverkäuflich.

Walter Benjamins These vom Verlust der Aura in den modernen Medien wie Film oder jetzt auch Computer hat sich scheinbar bestätigt. Warum bewundern wir noch immer die alten Bilder, wo mit Farbe auf Leinwand gemalt wurde?

Die technischen Medien erlauben uns, ein besseres Modell von der realen Welt zu schaffen. Diese Welt besteht heute aber aus übereinander geflochtenen Parallelwelten. Die Welt der Aura und der Reproduktion schließen sich nicht gegenseitig aus. Das nennt man dann die postmoderne Ambivalenz oder Unübersichtlichkeit. Beides sind Perspektiven aus der historischen Vergangenheit. Wenn ich heute in der einen Welt eine Variable ändere, dann ändere ich auch etwas in einer anderen Welt: Die Sphären korrelieren. Das Neue ist durchaus problematisierbar, weil auch das Alte Vorteile gehabt hat. Ein Blatt Papier hat den Vorteil, dass ich es zerknüllen und leicht transportieren kann. Ein Fernsehapparat hat den Vorteil, dass er bewegte Bilder zeigt. Ich kann ihn aber nicht in die Hosentasche stecken. In Zukunft müssen wir versuchen, die Vorteile der alten und neuen Medien zu vereinen, indem wir zum Beispiel Bildschirme entwickeln, die dünn wie Papier sind und in die Hosentasche passen.

Sind solche Entwicklungsaufgaben Sache des Künstlers?

Der Künstler soll die technischen Errungenschaften der militärischen, industriellen und kommerziellen Welt rezivilisieren. Mehr denn je bedarf die Gesellschaft des Künstlers, der gegen Monopole vorgeht, damit nicht nur Firmenkonglomerate wie Microsoft an der Konstruktion der Wirklichkeit teilhaben. Wenn ich Entwicklung einfordere, richte ich mich an eine "cultural community", einen Mix von Technikern, Freaks, Hackern und Künstlern.

Die Ingenieure machen also die Hardware, die Informatiker die Software und die Künstler die Verpackung?

Nein, alle tauschen untereinander Ideen aus, die sehr schnell in Kooperation umgesetzt werden können. Ich liebe die Software-Spezialisten, die weder Ingenieure noch Künstler sind. Das ist der Prototyp des Künstlers der Neuen Medien. Der Künstler der Zukunft ist abhängig von solchen Spezialisten, die frei von den Bindungen an eine kommerzielle Firma sind. Eine Stadt wie Berlin ist voll von solchen Leuten: Diese freischwebende technische Intelligenz ist eines der größten Potenziale, das die Techno-Kultur erzeugt hat.

Welche Forschungsthemen wird das ZKM in Zukunft bearbeiten?

Wir stehen an der Schwelle einer Materialrevolution: von der Nanotechnologie bis zum Quantencomputer. Bei der Umgestaltung der Medienwelt durch den Übergang zum optischen Computer möchte ich mit dem ZKM mitkonstruieren. Das Problem ist jedoch: Woher nimmt man dafür die Leute und das Geld? Wenn man da nicht investiert, wird der erhoffte Modernisierungsschub an Deutschland vorbei laufen.

\"Medienkunst\" gilt als die Kunstform der Zukunft.

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