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Flohmarkt der Gefühle. Gabriele Heinz, Bernd Moss und Rouven Stöhr spielen eine Drei-Generationen-Auseinandersetzung im Reinhardtsaal.

© DT / Arno Declair

„Was uns bleibt“ am Deutschen Theater: Das Erbe, das man in sich trägt

Wie sehr prägt uns unsere Familie? Dieser Frage stellt sich Frank Abt am Deutschen Theater mit "Was uns bleibt". Herauskommt eine puppenstubensaubere Familiengeschichten.

Der Weg zur Hochkultur führt an diesem Abend durch eine Art Historien-Trödelmarkt. Vorbei an Omas Silberlöffeln, abgegriffenen Stofftieren oder DDR-Röhrenfernsehern flanieren die Zuschauer zu ihren Plätzen in den Kammerspielen des Deutschen Theaters. Tatsächlich könnte man die Requisiten-Auswahl der Bühnenbildnerin Marie Roth für flohmarktecht halten – wenn hier nicht alles so wahnsinnig puppenstubensauber zurechtarrangiert wäre: Ein Eindruck übrigens, der sich im Lauf der nächsten zweieinhalb Stunden noch verdichten wird.

Der Regisseur Frank Abt hat zur vierten Ausgabe seiner „Geschichten von hier“ geladen, einem Langzeit-Projekt, das die Biografien realer Berliner ins Theater holt. Diesmal stehen unter dem Motto „Was uns bleibt“ Familiengeschichten im Mittelpunkt: Großeltern, Eltern und mehr oder weniger erwachsene Kinder sitzen gleichsam am Küchentisch und bespiegeln ihre Biografien in den jeweiligen historischen Kontexten. Allerdings stehen die Stofflieferanten bei Abt nicht selbst auf der Bühne, sondern lassen sich von Ensemblemitgliedern des DT und Studenten der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ vertreten.

Die verheißungsvollen vier Nachwuchskräfte – Nils Rovira-Muñoz, Nele Luisa Sommer, Rouven Stöhr und Nils Strunk – nehmen zu Beginn im Trödelmarkt-Interieur Platz, betrachten hier ein vergilbtes Schwarzweißfoto, testen dort ein pittoreskes Holzschaukelpferd und beginnen schließlich, aus den realen, unveröffentlichten „Kriegstagebüchern eines 17- bis 22-Jährigen von 1939 bis 1945“ zu lesen. Es ist der im produktivsten Sinne verstörendste Part des Abends. Denn wie Wolfgang Weimar, der Urheber dieser Zeilen aus privatem Familienbesitz, hier als Teenager seine Kriegsbegeisterung zu Protokoll gibt, krude Einlassungen zur „Rassenfrage“ inklusive, reißt einen geradezu beklemmend komplexen Horizont für diesen Abend auf.

Drei-Generationen-Auseinandersetzung

Da dessen Grundfrage nun erklärtermaßen lautet, „wie sehr wir durch unsere Familie geprägt sind“, sollen die Zuschauer anschließend in mehr oder weniger repräsentative Nahaufnahmen eintauchen – die hinter dieser Komplexität leider zurückbleiben: Das Publikum wird in drei Gruppen unterteilt, die parallel in unterschiedlichen Räumen – dem Reinhardt-Zimmer, der Garderobe oder der Tischlerei des Theaters – jeweils eine spezifische Drei-Generationen-Auseinandersetzung erleben. Jeder Zuschauer sieht also nur eine Familiengeschichte pro Abend; wer mehr will, muss wiederkommen.

In der Tischlerei etwa schwärmt die Großmutter (Simone von Zglinicki) von ihrer Ost-Berliner Innenarchitektinnen-Karriere: Sie richtete Diensträumlichkeiten für die Nomenklatura ein, war eigenen Bekundungen zufolge entsprechend „glücklich in der DDR“ und konnte sich „ziemlich verwirklichen“. Schade, dass der Journalist Dirk Schneider, der für Abt die Interviews führte, hier nicht nachgehakt hat: Es ist leider nicht das einzige Mal, dass Gemeinplätze als der Weisheit letzter Schluss stehen bleiben.

Konflikte mit dem Silberlöffel.

Dabei böte die Familiengeschichte in der Tischlerei reichlich Anknüpfungspunkte: Der Mann der Innenarchitektin floh per Schlauchboot über die Ostsee in den Westen, während sich ihr späterer Lebenspartner (Michael Gerber) bei biografischen Fragen in ausschweifenden Anekdoten verliert. Und beide sorgen sich um die gesamtdeutsche Punk-Enkeltochter (Nele Luisa Sommer). Weil Regisseur Abt aber so stark an der Frage klebt, „welches Erbe man mit sich trägt“, läuft er Gefahr, die politische Komponente durch monokausale psychologische Erklärungsschnellschüsse auszukontern. So surft die Familiengeschichte Ost trotz durchgängig toller Schauspieler zusehends auf dem Klassiker von der „starken Frau“, die ihr vermeintliches Emanzipationsgen an die Tochter (Angela Meyer) weitergegeben hat, welche nun ihrerseits potenzielle Partner vor allem deshalb verschreckt, weil sie ihr Laminat auch allein verlegen kann.

Klar und verständlich, dass Menschen solche Selbstbilder von sich entwerfen. Aber die Zweifel, Brüche und Schweigemomente, mit denen Abt sie zu hinterfragen sucht, bleiben zu harmlos. Das Finale des Abends ist dafür bezeichnend. An festlich gedeckten Tafeln finden sich die Gruppen zwischen den Flohmarkt-Devotionalien (denen man als Zuschauer übrigens nicht zu nahe kommen darf) noch einmal zum harmonischen Suppenessen zusammen. Und wer trägt schon Konflikte mit dem Silberlöffel aus?
Wieder am 18 und 29. April, 20 Uhr

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