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Kultur: Wasser auf die Wunden

Schon kurz nach dem 11. September hatte die Max Protetch Gallery in Chelsea Architekten in aller Welt angeschrieben und um Vorschläge oder visuelle Reflektionen zur Neubebauung des Geländes gebeten.

Schon kurz nach dem 11. September hatte die Max Protetch Gallery in Chelsea Architekten in aller Welt angeschrieben und um Vorschläge oder visuelle Reflektionen zur Neubebauung des Geländes gebeten. Teilgenommen haben über 50 Architekten und Künstler, darunter Daniel Libeskind, Zaha Hadid, Hans Hollein, Frei Otto und Vito Acconci. "Es geht hier nicht um einen offiziellen Wettbewerb, sondern um Ideenaustausch und kreative Anregung. Aber vielleicht geht einer dieser Vorschläge auch ins öffentlichen Rennen," erklärte Ko-Kurator Robert Ivy vom "Architectural Record". Offiziell wird die Neugestaltung von der neu gegründeten Gesellschaft "Lower Manhattan Redevelopment Corporation" organisiert. Zu einem ausgeschriebenen Ideenwettbewerb ist es dort jedoch noch nicht gekommen. Man steckt noch in Verhandlungen mit den verschiedenen Interessengruppen, vom Geländepächter Larry Silverstein und den großen Wall-Street-Firmen bis zu Anwohnergruppen und den Familien der Opfer.

Die schnell und unentgeltlich eingereichten Exponate reichen von der spekulativ-visionären, bisweilen albernen Träumerei bis zum konkreten, ausgearbeiteten Modell, von der Ablehnung jeglichen Bauvorhabens bis zum selbstbewussten neuen Wolkenkratzer und von der Konzentration auf das Ground-Zero-Gelände bis zur Neugestaltung des gesamten Downtown-Stadtraums. Doch bei aller Vielfalt ist es die Wiederkehr bestimmter Grundideen oder Materialien, die in der Schau am meisten auffällt.

So spielt zum Beispiel Wasser eine zentrale Rolle bei der Gestaltung, etwa in Form von mit Wasser gefüllten Becken oder Schächten, die den Grundriss der gefallenen Türme, gewissermaßenb ihre "Fußabdrücke" markieren. Acht Vorschläge warten mit solchen Memorial-Pools auf. So errichtet etwa die Gruppe "1100 Architects" aus New York ein scheibenförmiges, riesiges Denkmal genau zwischen den beiden früheren Turmstellen, die von Wasserbecken markiert sind. Nur am Rande des Geländes entstehen zwei schmale neue Gebäude. Joseph Giovannini & Rodrigo Monsalve verbinden zwei ähnliche Grundriss-Becken mit dem Hudson-River und lassen die in den Poolwänden eingravierten Namen der Opfer von der Tide umspülen. Der deutsche Architekt Frei Otto markiert die Gruben der alten Türme ebenfalls mit Wasserteichen, hält aber jede Bebauung des Restgeländes für unangemessen und begrünt die gesamte Fläche.

Viele andere Vorschläge füllen die "Fußabdrücke" der Türme zwar nicht mit Wasser, scheuen aber ebenfalls vor einer Bebauung ihres Standorts zurück. Die negative Präsenz der Twin Towers wird dann von erhöhten Plattformen (RoTo), von umbauter, quadratischer Leere (Fox & Fowle) oder von Säulengruppen (LO / TEK) gekennzeichnet. Einige der Gestalter legen den Stand der Sonne zum Zeitpunkt der beiden Flugzeugeinschläge und der beiden Einsturzmomente zugrunde - auch dies ein wiederkehrendes Motiv. Eric Owen Moss zum Beispiel möchte einen Park auf dem Gelände errichten und bestimmt die Form der Anlage durch die von den Türmen in den Katastrophenmomenten geworfenen Schatten.

Bei den Wolkenkratzer-Plänen wird oft auf Biomorphes gesetzt. Hier dominieren massive, kurvig verschlungene, hohe Blöcke, deren Realisierbarkeit zwar fraglich ist, die aber alle das Bedürfnis nach einer neuen Formensprache aufgreifen. Oft werden Theorien zur Flexibilität, Dynamik oder "Flüssigkeit" heutiger und zukünftiger Sozial- und Wirtschaftsbeziehungen hinzugezogen, etwa bei Zaha Hadid, die mit einer großen Bildmontage aus fließenden Zahlenreihen aufwartet. Die Gruppe NOX modellieren ihr Gebäude nach einem Experiment, bei dem nebeneinander herabhängede Fäden senkrecht in Wasser getaucht werden und sich beim Herausziehen zu einem unregelmäßigen Knotenbündel verschlingen: sich selbst organisierende Formen für Netzwerk-Strukturen nach dem angeblichen Ende des Linear-Hierarchischen.

Erwartungsgemäß bizarr ist Daniel Libeskinds bildmontiertes Modell, das schroff in den Himmel ragt und Arbeitsräume, Wohnräume, einen "vertikalen Garten" und ein "hängendes Denkmal" andeutet. In vielen Beiträgen tauchen flexible Gebäudeoberflächen auf. Ob es um den Farbwechsel nach Saison und Wetter geht oder um die komplette elektronische Bespielbarkeit: über zehn Skizzen betonen diesen Aspekt, darunter die von Hani Raschid und Gluckman Mayner Architects. Marwan Al-Sayed setzt fünf scheibenförmige Türme an, deren veränderbare Oberfläche dann von wechselnden Künstlern kontrolliert werden soll.

Die meisten Entwürfe sehen eine Mischnutzung vor, bereiten also den Raum für ein Denkmal, für kulturelle Institutionen und kommerzielle Aktivitäten. Diese Mischung wird mittlerweile auch von offizieller Seite favorisiert. Und auch hier wiederholt sich ein zentrales Motiv: Fast jeder zweite Entwurf schlägt eine Friedensforschungsinstitut, ein Weltforum oder gar ein "Museum der Menscheit" vor.

Einige dieser Leitmotive sind im Modell der "RoTo Architects" von Michael Rotondi vereinigt, das symbolische und funktionale Aspekte verbindet und zu den realistischeren Vorschlägen zählt. Nach dem Einfall der Sonnenstrahlen um 8 Uhr 41 am 11. September und der Geometrie des Flugzeugeinschlages wurde die bio-geometrische Form eines "orphischen Eis" errechnet. Eine mittelhohe Gebäudegruppe, die ein "World Citizens Conference Center" beheimatet, umschließt ein unbebautes Zentrum, das einen Hohlraum in elliptischer Form darstellt. In diesem Zentrum befindet sich auch der Standort der ehemaligen Türme, markiert durch Rasen-Plattformen, die von je 2000 Säulen getragen sind. Jeden Morgen um 8 Uhr 41 fällt das Sonnenlicht in einem bestimmten Winkel durch einen Spalt ins Zentrum.

Ralph Obermauer

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