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Kultur: Wasser, Erde, Feuer, Luft

Mahler-Zyklus mit der Staatskapelle: Boulez dirigiert die Sechste, Barenboim die Siebte

Die Berliner Philharmonie ist in diesen Tagen ein Ort des Glücks. Als Daniel Barenboim das Pult vor Beginn von Gustav Mahlers Siebter überraschend wieder verlässt – man hatte seine Partitur vergessen – und sich nach der Rückkehr vergewissert, ob auf dem Deckblatt auch die richtige Nummer verzeichnet ist, lacht der ganze Saal. Für einmal löst sich die Spannung des von Barenboim, Pierre Boulez und der Staatskapelle ausgetragenen Mahler-Marathons: Die Intensität der sinfonischen Himmelsbögen, die Vielzahl der überwältigenden Momente hat Publikum und Musiker zu einer heiter verschworenen Gemeinschaft zusammengeschweißt.

Man kann es, vor dem Endspurt bis zum Donnerstag, ruhig schon einmal sagen: Diese Staatsopern-Festtage haben das Zeug zum Höhepunkt des Musikjahres. So konsequent von den Großstrukturen bis ins Detail durchleuchtet und mit hellsichtiger Emphase aufgeladen, erglänzen Mahlers Sinfonien wie frisch restaurierte Meisterwerke. Mit Musikern in Bestform: Wenn der Soloklarinettist das Ländler-Idyll mit keckernden Trillern erschüttert, wenn die Hörner unisono oder im Echo miteinander ungeahnte Raumwirkungen entfalten, die Trompeten ebenso gleißen wie nachdenkliche Töne wagen, wenn das Orchester von den durch die Stimmen wandernden Melodien wie von Wellenbewegungen erfasst wird, wenn Violine, Cello und Bratsche nach anrührenden Soli wieder mit dem Samtklang des Tutti verschmelzen, ist klar: Die Staatskapelle steht der Qualität der Philharmoniker, den Hausherrn des Scharoun-Baus, in nichts nach.

Und ja, Boulez und Barenboim sind Antipoden, auch bei der Sechsten am Samstag und den „Liedern eines fahrenden Gesellen“ (mit dem leider erneut nicht überzeugend disponierten Thomas Quasthoff) samt der Siebten am Sonntag. Hier der Unerschrockene, dort der Ergriffene: Boulez denkt Gustav Mahler vom Rhythmus her und legt von Akzenten durchzuckte Klangbänder aus. Barenboim nähert sich von Seiten der Melodie und entlockt den Instrumenten einen sich aufbäumenden, im Übermut sich erschöpfenden, immer wieder atemberaubend ersterbenden Gesang. Der eine malt abstrakt, der andere figürlich. Und sie teilen sich die Elemente: Während Boulez Mahler erdet und befeuert, bevorzugt Barenboim die wässrigen, luftigen Momente. Und wenn der eine dirigiert, sitzt der andere im Publikum und lauscht.

Aber beide – so einfach ist es mit dem Kontrastprogramm nämlich doch nicht – legen ein hohes, beherztes Tempo vor. Hier glotzt keiner spätromantisch. Und beide lieben das Ausziselierte. Wenn Barenboim die flirrend „schöne Welt“ des zweiten „Gesellen“-Lieds mit Seidenfäden durchzieht, um die Seide später gegen Samt einzutauschen und die Luftfeuchtigkeit zu erhöhen, besticht er mit minimalen atmosphärischen Verdichtungen genauso wie Boulez’ Chamäleon-Künste im Scherzo der Sechsten. Und keineswegs absolviert Boulez die Militärmärsche der Sechsten im Stechschritt. Wie Barenboim bevorzugt er beim Marschieren den federnden Gang. Diese Armee hat es eilig. Ein heilloser Feldzug: Aufruhr nach dem Hörsturz der Hammerschläge im Finalsatz, Boulez treibt die Musik ins Geräuschhafte, lässt Harfensaiten messerscharf anreißen und sorgt mit Fausthieben für den K. o.

Am Abend danach, nach dem Wetterleuchten der Nachtmusik-Mittelsätze, setzt Barenboim seine Todesart zum Schluss der Siebten dagegen: Anlauf, Apotheose, das Fortissimo-Bimbam der Quart – und die sekundenkurze Zurücknahme ins Pianissimo vor dem finalen Schlag. Wer sonst kann so schwindelerregend rasant und präzise zwischen Gewalt und Zärtlichkeit changieren?

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