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Kriegsgesicht.

© dpa

Kultur: Wasser treten: der Neuseeland-Pavillon

Es ist wie in Grzimeks Nachttierhaus im Frankfurter Zoo. Kaum tritt man aus der Herbstsonne in den neuseeländischen Buchmessen-Pavillon, schon bricht die Nacht herein.

Es ist wie in Grzimeks Nachttierhaus im Frankfurter Zoo. Kaum tritt man aus der Herbstsonne in den neuseeländischen Buchmessen-Pavillon, schon bricht die Nacht herein. Noch nie dürfte es in der neueren Geschichte der Messe eine derart stockdunkle Halle gegeben haben. Das Gastland vom anderen anderen Ende der Welt, unserer mitteleuropäischen Zeit zwölf Stunden voraus, hat sein Motto „While you were sleeping“ (Während du schliefst) wörtlich genommen. Ein Überraschungseffekt, verstärkt durch eine riesige spiegelnde Fläche am Boden: Tatsächlich ist es Wasser, das in seiner Schwärze und Glätte eher an den Unterweltfluss Styx erinnert als an das Meer, das für den Maori-Schriftsteller Witi Ihimaera die wichtigste Ressource des Landes ausmacht – und seine Identität.

Ein Steg führt über den schwarzen Teich, zu Wigwam-ähnlichen, dreieckigen Zelten. Dem Allwettercharakter des Pavillons gemäß sind sie aus einer Art Neopren-Material gefertigt, drin hängen Bücher an einer Drahtvorrichtung wie Kiwis am Baum. Comics lassen sich hier pflücken, Titel wie „Land der weißen Wolke“ oder „Neuseeland liegt im Herzen – mein Weg aus dem Burnout“. Aber auch Karl Wolfskehls Briefsammlung aus dem neuseeländischen Exil von 1938 bis 1948 hängt an der Schnur, sie trägt den bitteren Titel „Du bist allein, entrückt, gemieden“.

„Es gibt nichts Liebliches an Neuseeland“, schrieb Karl Wolfskehl, einst der „Zeus von Schwabing“, kurz nach seiner Ankunft in Auckland an Alfred Kubin: „Stellen Sie sich diese ,Weite’ nicht gar zu romantisch vor.“ Aus dem nationalsozialistischen Deutschland ans andere Ende der Welt geflüchtet, sah sich der 69-jährige Emigrant urplötzlich in einem „Land der schweigenden Urwälder“ wieder, „immer grün und farnig, gelegentlich durchpalmt, voll fremdester Vögel, dem nachthuschenden Langschnabel Kiwi, und Mystisches schauender und treibender Urmaori, den Bronzeleib voller Farbstift, Zirkel und Rune“.

Während die meisten Pavillon-Besucher in Frankfurt trockenen Fußes hinter der Absperrung verharren und auf den grauen Mond und die Sternbilder schauen, die der Boden reflektiert, hat sich ein Besucher gerade entschlossen die Hosenbeine hochgekrempelt und geht kneippen. Bis zu den Knöcheln steht er im Wasser, den Blick auf eine der überdimensionalen schrägen Schauwände gerichtet. Dort wechseln sich Gedichtkaskaden mit schwebenden Illustrationen aus Kinderbüchern und mit Buchstabenschwärmen ab, die sich zu Wolken verdichten, aus denen dann wieder Regen prasselt.

Der Allwetter-Pavillon ist akustisch von Meeresrauschen, Windbrausen und Vogelzwitschern erfüllt, unterbrochen von Maori-Rezitationen und Gesängen. Das verweist zwar auf die jahrhundertealte mündliche Überlieferung der neuseeländischen Ureinwohner, es stört aber auch die Konzentration bei den Diskussionsrunden hinter dem – selbstredend schwarzen – Vorhang. Artig bedankt sich eine Moderatorin für die listening skills des Publikums. Also schlicht dafür, dass die Zuhörer zuhören. „Ich fühle mich wie in der High Street von Wellington“, meint der aus Lower Hutt stammende Lloyd Jones zur Geräuschkulisse. Jones’ letzter Roman „Hand me down world“ ist zur Buchmesse unter dem eher matten deutschen Titel „Die Frau im blauen Mantel“ erschienen. Christoph Mücher, der frühere Leiter des Goethe-Instituts in Wellington, fragt Lloyd Jones nach der nationalen Identität seiner Romane, aber der verweigert sich diesem Ansinnen: Er fühle sich nicht verpflichtet, den Blick aus seinem Fenster zu beschreiben.

Auch Emily Perkins aus Auckland hat in ihrem Großstadt-Thriller „Novel about my wife“ chamäleongleich eine Londoner Identität angenommen. Wie Jones setzt auch sie sich bewusst von der herkömmlichen Erzähltendenz ab, Neuseeland aus einem individuellen Blickwinkel heraus als isolierten Ort zu schildern. Selbst an der berühmten Kollegin Katherine Mansfield kritisiert Lloyd Jones, sie habe, obwohl in Wellington geboren, „ihre Füße stets in Europa“ gehabt. Da dringt das nächste Regenprasseln durch den Vorhang und verschluckt seine Worte. Katrin Hillgruber

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