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Kultur: Wassergeist

Gregor Dotzauer über den Levitenleser Hans Magnus Enzensberger Die Kunst des Zweifelns gehört zum Wesen klügerer Menschen. Und damit das nicht so apodiktisch stehen bleibt, fügt man am besten gleich hinzu: Auch eine gegen Opportunismus wie intellektuelle Distinktionsgewinne gefeite Unbeirrbarkeit von Grundüberzeugungen spricht für einen Charakter.

Gregor Dotzauer über den Levitenleser Hans Magnus Enzensberger

Die Kunst des Zweifelns gehört zum Wesen klügerer Menschen. Und damit das nicht so apodiktisch stehen bleibt, fügt man am besten gleich hinzu: Auch eine gegen Opportunismus wie intellektuelle Distinktionsgewinne gefeite Unbeirrbarkeit von Grundüberzeugungen spricht für einen Charakter. Ob die Bombardierung Belgrads der richtige Weg war, das Regime von Slobodan Miloševi ´c zu stürzen (das besorgte letztendlich ein Volksaufstand) oder ob der Krieg gegen den Irak die einzige Möglichkeit war, den Tyrannen Saddam Hussein zu verjagen: Darüber haben sich, die Unsicherheit im Herzen, weit mehr alte und neue Europäer den Kopf zerbrochen, als es die praktische Aufteilung in Pazifisten und Bellizisten nahe legt.

Einer aber, ein vergnügter, während der Kriegsentwicklung schweigsamer Geist über allen Wassern, scheint schon immer alles gewusst zu haben: im kurzen Sommer der Anarchie, dessen Ausläufer Ende der Sechziger auch Deutschland streiften, nicht weniger als im langen Winter unseres Kohl’schen Missvergnügens. Sein Triumph über das Unkluge scheint nie größer gewesen zu sein als heute. Der Sieg war schließlich lange genug geplant. Als Hans Magnus Enzensberger 1991, zu Zeiten des ersten Golfkriegs, in seinem Essay „Hitlers Wiedergänger“ in die Zukunft schaute, prophezeite er: „Der Preis für die Entfernung Saddam Husseins von der Erdoberfläche wird astronomisch sein, auch wenn ihm die Erfüllung des Wunsches, einen Atomkrieg zu entfesseln, vielleicht um Haaresbreite versagt bleiben wird.“

Gestern in der Frankfurter Allgemeinen, in einer „Nachschrift“ zum IrakKrieg mit dem Titel „Blinder Frieden“, hat Enzensberger der Friedensbewegung die wahre Rechnung über die Kosten der militärischen Auseinandersetzung präsentiert: „Fest steht, dass noch nie ein Krieg von solcher Dimension so wenige Opfer gefordert hat.“ Die toten irakischen Soldaten kann er dabei noch nicht gezählt haben. Aus seinem an Gratispolemik, Allgemeinplätzen und Halbwahrheiten mit rechtspopulistischem Einschlag reichen Pamphlet schreit es allenthalben „Blamage“. Und für den Fall, dass die „Warner und Mahner“, die angeblich schon beim Untergang des Dritten Reichs und der Deutschen Demokratischen Republik nichts von Befreiung wissen wollten, auch künftig nicht verstummen, liest er ihnen prophylaktisch die Leviten: „Selbst wenn die Amerikaner und die Briten im Irak Wunder bewirken würden, gälte dies nur als ein weiterer Beweis für ihre Hinterlist.“

Hinterher, sagt eine alte Weisheit, ist man immer klüger, und die anderen sind die Dummen. Auch deshalb sind Enzensbergers jüngste Äußerungen – anders als die von André Glucksmann vor dem Krieg – so mutlos wie wetterwendisch. Treu geblieben ist er sich vor allem in einem Punkt, der schon ein Problem des alten Aufsatzes war: das Liebäugeln mit der Existenz eines Bösen, das sich von allen kulturellen Voraussetzungen, Zeichen und Ideologemen ablösen lässt und bei dem wir es – Saddam hin, Hitler her – „nicht mit einer deutschen, nicht mit einer arabischen, sondern mit einer anthropologischen Tatsache zu tun haben“. Wer so denkt, kann alle Diktaturen über einen Kamm scheren.

Für ein letztes Wort, was die politischen Gewinne und Verluste der Irak-Mission angeht, ist es ohnehin zu früh. Weil Enzensberger es aber beansprucht, soll er es mit dem letzten Satz seines Textes auch behalten: „Eine Spur weniger Überheblichkeit könnte in diesem Zusammenhang womöglich nicht schaden.“

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