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Kultur: Weckrufe

„Neue Arabische Welt“ auf dem Poesiefestival

„Wenn du schweigst, stirbst du, wenn du sprichst, stirbst du auch; also sprich und stirb“, schrieb der algerische Dichter Tahar Djaout 1993. In der Berliner Akademie der Künste kommen dieses Jahr Djaouts Erben zu Wort. Facettenreich ist ihre Antwort auf die Frage, wie die Poesie dem politischen Wandel begegnet und wie sie spricht. Im Grunde sind es zwei Generationen, die vielstimmig antworten, aber ein Bild zeichnen: der Poet als Agent der politischen Willensbildung.

Schnelle Veränderungen erwartet Hint Shoufani nicht, solange es an demokratischer Gesinnung mangelt. Die Palästinenserin, Jahrgang 1978, gehört zu den schillerndsten Figuren der arabischen Frauenliteratur, ihre Themen sind: „Tod, Politik und Sex“. Aus ihren englischen Gedichten spricht Pessimismus, aber auch eine kraftvolle Sinnlichkeit, die sich in assoziativen Wortketten den Weg bahnt. Ähnlich wie Shoufani bewältigt der 36-jährige Exil-Libyer Abdouldaim Ukwas die Freiheitsthematik in der subjektiven Reflexion. In gehobenem Stil rezitiert er seine freien Verse, melancholisch, musikalisch, voll poetischer Bildgewalt. Diese Innerlichkeit sucht „Auswege aus der kreisförmigen Gegenwart“, umgeht aber den aktuellen Bezug.

Umstürzlerisch und direkt sprechen dagegen die Jüngeren. Aggressiven Rap zu hämmernden Hip-Hop-Beats schmettert der 22-jährige Tunesier El Général. Seine Protesthymne „Rais Lebled“ (Chef meines Landes) ist eine direkte Aussprache mit Staatschef Ben Ali. Über Facebook fand das zensierte Video seinen Weg in die Welt, mittlerweile gilt es als Auslöser für den Sturz des Kleptokraten. Die provokative Diktatoren-Konfrontation sucht auch die junge Ägypterin Hend Hammam. Ihr Gedicht „Brief an den Präsidenten der Republik“ formuliert eine in rhythmischen Reimversen verfasste Anklage gegen Hosni Mubarak: scharfzüngig, in einfachem Umgangsarabisch. Mit ihrem Landsmann Deeb teilt sie ein zentrales Anliegen: die Demokratisierung in der Kunst antizipieren, durch den Gebrauch des landeseigenen Dialekts, der noch die untersten Schichten erreicht.

Auch Deebs Slam Poetry ist vitale Sprache, die die Agonie der Mubarak-Ära abschütteln will: „Ich gebe meine Zeit dran / Wecke mein Volk auf“, verspricht der 27-Jährige in Berlin wie noch im Januar auf dem Tahrir-Platz in Kairo. Martin Ernst

Martin Ernst

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