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Ratternde Projektoren. Die belgische Künstlerin Els van Riel zeigt ihr Werk „Buchstabe“ (2019).

© Courtesy of Oqbo

Wedding: Im Projektraum Oqbo organisieren sich Künstler selbst

Seit elf Jahren widmet sich Oqbo Kunst in unterschiedlichen Formen. Eine aktuelle Schau versammelt spannende Positionen zum bewegten Bild.

„Bilder pro Sekunde“ heißt eine Ausstellung im Projektraum Oqbo, die damit den kleinsten gemeinsamen Nenner ihrer Exponate benennt. Gleich am Eingang grüßt ein auf die Wand projizierter Sonnenblumenstrauß, dessen Verfall mit vier Bildern pro Stunde über 14 Tage nachgezeichnet wird.

Wer hier an Vincent van Goghs berühmtes Motiv der „Zwölf Sonnenblumen in einer Vase“ denkt, liegt völlig richtig. Im Gegensatz zu dem auf unzählbar vielen Konsumprodukten verewigtem und zum brand gemachten Bild sind die Blumen des Berliner Künstlerpaars Marion Kreißler und Martin Conrath der Vergänglichkeit preisgegeben. Darüber hinaus spüren die Künstler dem Phänomen ewiger kapitalistischer Verwertung in einer zweiten Projektion nach. Hier dient die Silhouette der Sonnenblumen als Maske, in der Szenen diverser Biopics über einen der teuersten Maler der Welt zusammen mit Bildern von Devotionalien wie T-Shirts, Geschirr, Küchenschürzen, Handschuhen oder Postern zu sehen sind. So blüht die Wertschöpfung, während das originäre Werk allmählich hinter dem Mythos verschwindet.

Künstler investieren viel Engagement und Geld in die Sache

Sylvia Schwenk, in Australien aufgewachsen und nun in Berlin lebend, hat ihr Mehrkanal-Video „Connect“ (2018) während eines Stipendiums im Künstlerdorf Schöppingen produziert. 160 Menschen aus Spanien, USA und Deutschland reagieren darin auf fünf von der Künstlerin gestellte Fragen über Angst, Liebe, Hoffnung und Glück. Für Schwenk ist diese sehr persönliche Hinwendung zum individuellen Menschen über Grenzen hinweg eine Methode, den dystopischen Perspektiven in den Medien zumindest für Augenblicke zu entkommen und sich ganz humanistisch auf das Kommunitäre, auf Empathie und Teilen zu konzentrieren.

Im Keller des Projektraums Oqbo wird man von zwei ratternden 16mm-Projektoren empfangen, die den Begriff „Buchstabe“ ständig changierend projizieren. Die belgische Künstlerin Els van Riel begreift diese Licht-Ton-Arbeit als ein Monument für das Handwerk, das dem gedruckten Wort zugrundeliegt. „Buchstabe“ (2019) entfaltet eine bezaubernde Wirkung, denn durch das flackernde Licht und den Prozess der Überlagerung von negativer und positiver Form ändern sich die Fonds beständig. Die Buchstaben werden plastisch und scheinen aus dem Film herauszutreten.

Wer meint, Künstler arbeiteten ausschließlich am eigenen Ruhm, der irrt. Viele betreiben kollektiv Projekträume, um dort auch Kunst von anderen zu präsentieren. Dafür investieren sie Engagement und Geld. Dies gilt auch für den von sechs Künstlerinnen und Künstlern betriebenen Raum Oqbo im Wedding, seit nunmehr elf Jahren ein vitaler Ort für Ausstellungen, Lesungen, Performances und Jazz. Christian Bilger, Zeichner und Kinetik-Künstler, hat als einer der Betreiber die Ausstellung mit den Künstlern organisiert.

Oqbo, Brunnenstr. 63; bis 20.4., Do–Sa 15–19 Uhr

Matthias Reichelt

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