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Kultur: Wegdämmern in Seligkeit

Friedrich Kröhnke blättert seine Lesegeschichte auf

In den letzten Zeilen des „Geheimnisbuchs“ von Friedrich Kröhnke wird der Hörspielpreis der Kriegsblinden erwähnt. Den erhielt 1957 der Berliner Autor Benno Meyer-Wehlack. Als Kind in den vierziger Jahren war er eifriger Kinogänger, in den ersten Nachkriegsjahren Theatereleve bei Jürgen Fehling und Faktotum beim Neuen Geist Verlag. Erinnerungen daran hat er in drei längeren Erzählungen lebendig werden lassen: „Das Kinokind“ (1980), „Das Theaterkind“ (1984) und „Das Lesekind“ (1986). In kurzen assoziativen Sätzen rufen sie noch einmal Namen, Szenen und Leserglück einer Berliner Jugend um 1945 herauf.

Kröhnke versichert, diese Lesestücke nicht gekannt zu haben. Und doch hat er in Sujet und Erzähltechnik seines „Geheimnisbuches“ ihre kongeniale Nachfolge angetreten, wenn er, 1956 geboren, die Erfahrungen eines Lesekindes um drei Jahrzehnte fortschreibt. Vielmehr die Erfahrungen zweier Lesekinder: Auch diesmal fehlt nicht der Zwillingsbruder, mit dem er sämtliche Leseabenteuer – von Karl May über Micky Maus bis Hubert Fichte – teilt. Ihre Streifzüge durch Buchhandlungen und Antiquariate liefern den Stoff zu diesem Opusculum im mittlerweile geschlossenen Ammann Verlags, in dem auch Kröhnkes opus magnum (Martin Ripkens) „Die Attersee-Krankheit“ erschien. Anders als dieser Roman ist das „Geheimnisbuch“ jugend-, wenn auch nicht drogenfrei. Es endet mit dem Bekenntnis, „dass man nichts braucht als Bücher und nachts, weil die Nacht so schön ist, Tramadol. Einige Bücher, einen Streifen Tabletten. Ein Hub Tropfen. Wegdämmern. Glück. Dass man so selig werden kann.“

Es beginnt mit dem Motto eines rororo-Bändchen, mit den ersten Bänden der Edition Suhrkamp und Peter Handkes „Publikumsbeschimpfung“, dem „wunderbarsten Buch ihres vierzehnjährigen-Sommers“, und endet im Bücherparadies: „Nur an Bücher denken. Titel. Bilder. Typographie. Einzelne Wörter, Ungelesenes, das einen reizt. Erinnertes Schönes.“ Kröhnke lässt die ganze Bibliothek des Suhrkamp-Zeitalters Revue passieren, samt der Reihe Hanser, den Voltaire Flugschriften und den weißen Bände von Diogenes, um am Ende in der „verwunschensten aller Stationen" zu landen: der Bücherstadt Wünsdorf mit ihren Halden unverkaufter DDR-Bücher von Erik Neutsch und Hermann Kant. Hannes Schwenger

Friedrich Kröhnke: Ein Geheimnisbuch. Ammann Verlag,

Zürich 2010.

152 Seiten, 12,95 €.

Hannes Schwenger

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