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Wehrmachtsverbrechen: Geisel der Geschichte

„Heldensuche“: Der Journalist Michael Martens spürt einem Wehrmachtsverbrechen nach.

Diejenigen, die den Zweiten Weltkrieg durchlebt haben, werden immer weniger. Die großen Linien, die Präsidenten, Diktatoren, Feldmarschälle und Generalstäbe zeichneten sind hinreichend bekannt. Wie aber erlebte der einfache Soldat den Krieg? Die Geschichtswissenschaft hat sich der Zeugenbefragung erst in jüngster Zeit angenommen. Darüber geben aufrührende Bücher wie der jüngst erschienene und heftig diskutierte Band von Sönke Neitzel und Harald Welzer Auskunft, die erschütternde „Protokolle vom Leben, Töten und Sterben“ deutscher Soldaten gesammelt haben (S. Fischer).

Erschütternd ist der Mangel an Mitgefühl, der viele dieser Protokolle kennzeichnet. Waren alle deutschen Soldaten Verbrecher? Diese Frage beschäftigt uns seit der Wehrmachtsausstellung von 1995, die, mochte sie in ihrer Erstfassung auch voreingenommen gewesen sein, doch an eine der großen Lebenslügen Nachkriegs(west-)deutschlands rührte. Doch das Bedürfnis, durch den Nebel des Schrecklichen hindurch das Lichtlein des Guten zu erkennen, ist auch dort vorhanden, wo das Recht des Siegers alle Gewissensbisse verdrängt hatte. Ein solches Licht leuchtete etwa in Jugoslawien, wo man eines deutschen Gefreiten gedachte, der sich weigerte, an einer Partisanenerschießung teilzunehmen und darum selbst erschossen wurde, gemeinsam mit jenen, auf die sein Gewehr zu richten er sich geweigert hatte.

Was für eine Geschichte! Ausgerechnet in Jugoslawien, wo der Partisanenkrieg in unbarmherziger Härte ausgefochten worden war und mit dem Waffenstillstand nicht endete, wie nachfolgende Massaker bezeugen. Doch die Geschichte des Soldaten Josef Schulz zeigt ein anderes Deutschland, zeigt den einen, der sich dem Verbrechen verweigerte und dafür willentlich mit dem Leben bezahlte.

Über Josef Schulz wurde nur zwei Mal in deutschen Illustrierten berichtet, die sogar Fotografien vom Geschehen im Sommer 1941 zeigten. Michael Martens, lange Jahre „FAZ“-Korrespondent in Belgrad und mittlerweile aus Istanbul berichtend, stieß auf die Geschichte, als er in Kragujevac recherchierte, wo im Oktober 1941 ein Massaker an 2300 serbischen Geiseln stattgefunden hatte. Wer war Josef Schulz?

Es ist diese schlichte Frage, die den roten Faden des Buches bildet, das Martens in siebenjähriger Feldforschung erarbeitet hat und das er am Montagabend im Internationalen Club im Auswärtigen Amt vorstellte. Man sollte meinen, dass dieser Ort zu Diskussionen angeregt hätte, nach dem verstörenden Buch „Das Amt“, das das AA der NS-Zeit nicht in jenem Licht zeichnete, in dem es selbst zu glänzen sich angewöhnt hatte. Denn auch bei der Geschichte um Josef Schulz spielen (bundes-)deutsche Diplomaten eine wichtige Rolle. Lag es am mitreißenden Stil des Vollblutjournalisten Martens, dass der auszugsweisen Lektüre einiger Abschnitte des Buches keine auf den Kern der Sache zielenden Fragen folgten?

Zumal es keineswegs nur um den tapferen Soldaten geht. Sondern auch um die Selbstrechtfertigung deutscher Nazis, die sich in den bundesrepublikanischen Prozessen der sechziger Jahre stets – und stets erfolgreich – auf „Befehlsnotstand“ zu berufen wussten. Mit einem Mal, so erkannte die Ludwigsburger Zentralstelle zur Verfolgung von NS-Verbrechen, war da ein Fall, der geeignet war, den behaupteten, aber nie konkret nachgewiesenen Befehlsnotstand zu belegen: durch die sofortige Hinrichtung des Befehlsverweigerers Schulz.

Martens Buch weitet sich zu einem Panorama deutscher Befindlichkeiten, mit bitteren Untertönen wie in der Darstellung des von den Nazis zum „Mischling ersten Grades“ gestempelten Horst Grabert, der als Botschafter in Belgrad diente und heute nahe Berlin seinen Lebensabend verbringt – wo ihn in der Seniorenresidenz die Schatten der Vergangenheit in Gestalt wehrmachtsseliger „Kameraden“ immer wieder einholt. Anders ausgedrückt, die Geschichte des Josef Schulz verflüchtigt sich mehr und mehr, bis hin zu dem überraschenden Fazit, dass es wohl die Person, nicht aber diese Geschichte gegeben hat. Der richtige Schulz starb im Krieg durch die Kugel eines Partisanen, seine herzwärmende Geschichte ist eine Konstruktion. Was allerdings in Martens Buch bleibt, ist die unrühmliche Geschichte der „Aufarbeitung“ der NS-Verbrechen in der Bundesrepublik. Bezeichnend wie das Auswärtige Amt die Aufführung des um die Schulz-Story kreisenden Films „Blutiges Märchen“ bei der Weltausstellung im japanischen Osaka 1970 zu verhindern versuchte und Titos Jugoslawien mit finanziellen Konsequenzen drohte, der damals beliebten Methode außenpolitischer Einflussnahme.

Tito selbst war von der Geschichte angetan, in seinem „kakanischen Deutsch“, so berichtet Martens, habe er selbst die Anweisung gegeben, „Name kommt auf Stein“. Es ging um die Hinzufügung des deutschen Soldaten auf das Denkmal für die Partisanen, die im serbischen Palanka exekutiert worden waren.

So entsteht Historie. Oder zumindest Historienmalerei. Und so ist ein Buch entstanden, das über Geschichte und ihre tausendfach unterschiedliche Wahrnehmung und Wiedergabe mehr erzählt, als die meisten Darstellungen der offiziellen und letztlich moralfreien Großgeschichte. Bernhard Schulz





Michael Martens
:

Heldensuche.

Die Geschichte des Soldaten, der nicht

töten wollte.

Paul Zsolnay Verlag, Wien 2011, 399 Seiten, 24,90 €.

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