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Kultur: Weiden der Leidenschaft

LESEZIMMER Rainer Moritz sondiert den amerikanischen Buchmarkt Nicht alle brillanten Ideen gedeihen auf eigenem Mist, und so bin ich dankbar, wenn sich auch andere Leute Gedanken machen. Neulich zum Beispiel sann ein renommierter Redakteur dieser Zeitung über ideale, verkaufsträchtige Buchinhalte nach und kam zu der – selbst seine Agentin verblüffenden – Auffassung, dass sich die optimale Superbuchmischung aus den Themenfeldern Kinder, Sex und Tiere rekrutieren müsse.

LESEZIMMER

Rainer Moritz sondiert den amerikanischen Buchmarkt

Nicht alle brillanten Ideen gedeihen auf eigenem Mist, und so bin ich dankbar, wenn sich auch andere Leute Gedanken machen. Neulich zum Beispiel sann ein renommierter Redakteur dieser Zeitung über ideale, verkaufsträchtige Buchinhalte nach und kam zu der – selbst seine Agentin verblüffenden – Auffassung, dass sich die optimale Superbuchmischung aus den Themenfeldern Kinder, Sex und Tiere rekrutieren müsse.

Das hat mir zu denken gegeben, wie mir Anregungen von Tagesspiegel-Mitarbeitern grundsätzlich zu denken geben, und ich begann sofort jenen Stapel englischsprachiger Titel zu durchforsten, die ich im Laufe der Jahre bei Agenten und Verlegern in New York und London eingesammelt und bislang nur oberflächlich geprüft habe. Nach neuerlicher Durchsicht ist mir vor allem eine Anthologie ans Herz gewachsen, ein 2002 bei Kensington Books, New York, erschienener Erzählungsband, der den bestechenden Titel „The Big Book of Lesbian Horse Stories“ trägt.

Sie werden vielleicht verstehen, dass mich dieses Buch auf den ersten, naiven Blick verstörte. Erst nach genauerer Reflexion sah ich diese Sammlung als Beleg für die universelle Bandbreite des Buchmarktes, und da es in diesen acht Stücken (darunter „Der Ritt zur Freiheit“ oder „Weiden der Leidenschaft“) der Autorinnen Alisa Surkis und Monica Nolan nicht nur um Pferde und gleichgeschlechtliche Erotik, sondern auch um kaum dem Konfirmationsunterricht entwachsene Jugendliche geht, könnte dieses Buch zum Megaseller werden und sei allen Verlegern (Suhrkamp, S. Fischer oder Sandra Asmussens Verlagsbuchhandlung für Pferdezucht und -sport) wärmstens empfohlen.

Die literarische Güte der hier versammelten Prosa – das will ich nicht verschweigen – erfüllt die durch Titelgebung und Covergestaltung hoch gesteckten Erwartungen nicht ganz. Die Unterzeile „Wenn diese Schwestern Sapphos aufsatteln, ist die Ekstase nur einen Hufschlag entfernt“ und der Aufkleber „Erste schockierende Auflage“ übertreiben stark, und auch das nostalgisch-trashige Umschlagmotiv verspricht mehr, als die schüttere Erzählkunst der beiden Autorinnen zu halten vermag: Eine Reiterin, ausgestattet mit engem Top, glänzenden Stiefeln und verheißungsvoller Gerte, blickt lasziv zu einer Kollegin, die mit verträumtem Augenaufschlag die Nüstern eines geduldigen Rosses streichelt. In den Erzählungen selbst findet sich davon wenig; zu den wenigen prickelnden Höhepunkten zählen Passagen, in denen ein Mädchen ein anderes, als Stalljunge verkleidetes Mädchen küsst und anschließend einräumt: „Ich hätte genauso gefühlt, wenn du ein Junge oder ein Pferd wärst.“

Immerhin scheint der unterschwellige Zusammenhang zwischen Pferd, Erotik und Frau, gesamtkulturell gesehen, hoch aufschlussreich. Auch das Verlagswesen weiß um diese Attraktion und arbeitet seit jeher mit Anspielungen dieser Art. Selbst eine junge Disziplin wie die Buchwissenschaft kommt nicht umhin, diese Verbindungen aufzuarbeiten. In Reclams seriösem „Sachlexikon des Buches“ findet sich beispielsweise das Stichwort „Beißer-Romane“, worunter die Fachwelt kitschige Unterhaltungsschmonzetten versteht, auf deren Umschlägen sich anzügliche Kuss- und Bissszenen finden. Der Lexikoneintrag endet mit einem nachdenklichen Resümee: „Wissenschaftlich noch nicht ausreichend erforscht ist die Frage, inwieweit die häufig verwendeten Pferdemotive auf den Covern einen Hinweis auf die erotische Freizügigkeit des Inhalts geben.“

Eine deutsche Ausgabe des „Big Book of Lesbian Horse Stories“ wäre gut geeignet, den mit diesem Themenkomplex befassten Buchwisssenschaftlern auf die Sprünge zu helfen. Darüber hinaus könnte es auf diese Weise gelingen, eine umfassende gesellschaftliche Diskussion anzustoßen. Denn wie meine nun seit Wochen andauernde Beschäftigung mit dem Bereich „Sapphismus und Hippologie“ ergab, bricht die westliche Welt gerade zu neuen Ufern auf. Dem schwullesbischen Onlinemagazin „Siegessäule“ entnehme ich, dass sich Berliner Frauen mittlerweile in einer Schöneberger Kneipe zu einem „Reiterinnenstammtisch“ zusammentun. Die Initiatorin, Diplom-Psychologin Manuela B., will einen „gefühlsbetonten Umgang mit den Pferden“ befördern und dadurch der auf „preußischem Drill beruhenden Reiterei“ energisch entgegentreten.

Die Zielsetzung dieser Angebote, die Josef Neckermann und Paul Schockemöhle noch fremd gewesen wären, lässt sich mit den Worten der Stammtischbetreiberin klar umreißen: „Mein Ziel ist ein lesbischschwuler Reiterhof.“ Diese Einrichtung käme der neuerdings verstärkt „voller Rätsel“ (Bernhard Grzimek) steckenden Tierwelt entgegen, denn laut Manuela B. ist den Unpaarhufern recht, was den Menschen billig ist: „Übrigens kommen auch unter Pferden gleichgeschlechtliche Beziehungen vor: Mein 18-jähriger Wallach hat eine ganz intensive Bindung zu einem anderen Wallach.“

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