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Weihnachtsmusik: Frohlocke, Berlin, frohlocke

Einen wunderbaren Eindruck vom Klang des preußischen Christfests schenkt die CD "Frohlocke nun! Berliner Weihnachtsmusiken zwischen Barock und Romantik".

Die Straßen Berlins sind kein heiliges Pflaster. Sie waren es nie, und sie widerstanden allen Missionsversuchen. Wer die Ohren öffnet, kann sogar hören, wie wenig sich die kirchliche Pracht an der Spree entfalten konnte. Während in Leipzig und Hamburg Kantoren wie Bach und Telemann Sonntag für Sonntag aufwendige Kantaten komponierten, entstand in der Hauptstadt Preußens kein einziger oratorischer Jahrgang.

Um 1750 war Berlin eine noch junge, von Hof und Militär dominierte Residenzstadt. Geistliche Traditionen gab es nur wenige. Man verstand sich zwar als lutherisch-protestantisch, doch für das aufgeklärte Bürgertum verlor der Kirchgang zunehmend an Bedeutung. Reich war sie daher nicht, die Blüte der Berliner Kirchenmusik. Zudem galten ihre raren Zeugen lange als verloren, untergegangen im Zweiten Weltkrieg mit dem Archiv der Berliner Sing-Akademie. Ihr Direktor Carl Friedrich Zelter trug als Europas größter Privatsammler nicht nur einen unermesslichen Musikalien-Schatz zusammen. Er war als Lehrer auch wichtiges Bindeglied zwischen der Berliner Klassik und den jungen Romantikern.

Nach der Rückkehr des Archivs aus Kiew im Jahr 2001 kann jetzt rekonstruiert werden, welche Musiken Weihnachten im Berlin des 18. und frühen 19. Jahrhunderts prägten. Es war ein prachtvoll begangenes Fest, nicht nur eine Station im Kirchenjahr, sondern das bürgerliche Hochamt schlechthin. Einen wunderbaren Eindruck vom Klang des preußischen Christfests schenkt die CD „Frohlocke nun! Berliner Weihnachtsmusiken zwischen Barock und Romantik“ (Carus-Verlag). Die Lautten-Compagney Berlin sowie der Staats- und Domchor musizieren Kantaten von Carl Philipp Emanuel Bach, Carl Heinrich Graun und Johann Friedrich Agricola aus dem Archiv der Sing-Akademie als Weltersteinspielungen, dazu Werke von Carl Friedrich Zelter, Johann Friedrich Reichardt, Carl Loewe und Felix Mendelssohn Bartholdy.

Viel Weltliches ist darin zu finden, Experimentelles auch. Man kann die Loslösung von den Banden der Kirchenkantate förmlich spüren in Bachs elegantem Pasticcio, ebenso wie den Weg von der Institution Kirche hin zu einer romantischen Kunstreligion bei Zelters „Wachet auf“Choral. Das alles erklingt so klar und strahlend in dieser Aufnahme wie nur selten eine Weihnachtsnacht in Berlin. Und auch weit weg mit Reichardts „Holdseliger, gebenedeiter Knabe“, die das Alpenland mit von Knabensopran gezuckerten Gipfeln aufleuchten lässt. Mit Mendelssohn Bartholdy endet die Reise durch die Heilige Nacht. In seinem Fragment gebliebenen Oratorium „Christus“ wollte er Geburt, Leiden und Auferstehung Christi zu einem Werk zusammenfassen. Ein Erlöserporträt wie Händels „Messiah“, komponiert für ein Publikum, das nur noch einmal im Jahr die Kirchen aufsucht: zu Weihnachten. Ulrich Amling

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