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Kultur: Wein und Blut

Viele Menschen werden lustiger, wenn sie ein paar Gläser Alkohol getrunken haben. Deshalb ist auch prinzipiell nichts gegen fröhliche Betrunkene im Film einzuwenden.

Viele Menschen werden lustiger, wenn sie ein paar Gläser Alkohol getrunken haben. Deshalb ist auch prinzipiell nichts gegen fröhliche Betrunkene im Film einzuwenden. Was in der Realität existiert, muss auch auf der Leinwand existieren dürfen. Aber im Kino war Alkoholismus lange Zeit ausschließlich lustig. Kino-Alkoholiker litten nie, und sie haben auch niemanden misshandelt. Ausgerechnet ein aufstrebender Komödienregisseur, Billy Wilder, hat 1944 den ersten Film gedreht, der präzis die Qualen des Alkoholismus schilderte. Die ersten Reaktionen auf Das verlorene Wochenende – bei Testvorführungen – waren verheerend, fast wäre der Film im Giftschrank verschwunden. Nach seiner Premiere aber wurde das Trinker-Drama als Meisterwerk gefeiert und mit vier Oscars ausgezeichnet. Man muss sich in die damalige Zeit zurückversetzen, um Wilders Tabubrüche zu erkennen und zu würdigen: Der alkoholkranke Protagonist (Ray Milland) lässt sich gehen, er rasiert sich nicht mehr, das zerknitterte Hemd hängt ihm aus der Hose, und er hat Visionen von einer Fledermaus, die eine Maus jagt und tötet, woraufhin das Blut der Maus die Wand hinabläuft. So viel Hässlichkeit und Horror war das damalige Publikum nicht gewohnt. „Das verlorene Wochenende“ gehört zu den ganz wenigen Wilder-Filmen, die auf ironische Distanz oder Zynismus verzichten. Einigen Wilder-Fans missfällt das, für sie ist „Das verlorene Wochenende“ ein übertrieben seriöser Problemfilm und somit ein Fremdkörper in seinem Werk. Dabei schwingt Wilder niemals die Moralkeule. Er hält keine Predigt gegen den Alkoholismus. Er schildert nur seine hässlichen Nebenwirkungen (Freitag und Sonnabend im Zeughauskino).

In der wildesten Phase des US-Kinos, den frühen siebziger Jahren, konnte man das Publikum nicht mehr mit Alkoholexzessen schockieren, auch nicht mit LSD oder Heroin. Wer provozieren wollte, der befasste sich mit dem schlimmstmöglichen Rausch: dem Blutrausch. Immer mehr Amokläufer bevölkerten die Leinwand. Den ungewöhnlichsten Beitrag zum Thema lieferte der 29-jährige Philosophieprofessor Terrence Malick mit seinem Film Badlands (1973), in dem ein Müllarbeiter (Martin Sheen) den brutalen Vater seiner minderjährigen Freundin (Sissy Spacek) erschießt und mit ihr quer durch die USA flieht, zahlreiche Tote zurücklassend. Wie in seinen späteren Werken interessierte sich Malick weniger für die Gewalt als für die idyllische Landschaft, in der die Gewalt stattfindet (Freitag und Sonnabend im Filmkunst 66).

So unbestritten wie der künstlerische Rang von Malicks Erstling ist der schlechte Ruf von Deadly Weapons – Teuflische Brüste (1973), dessen Amok laufende Heldin keine Schusswaffen benötigt (Mittwoch im Babylon Mitte). Wenn sie reihenweise Männer erledigt, bedient sie sich dabei nur ihrer imposanten Oberweite. Bemerkenswert an diesem Schund-Klassiker ist, dass er von Frauen erdacht und gemacht wurde: Doris Wishman (1920-2002) führte Regie, ihre Nichte Judy S. Kushner schrieb das Drehbuch, und die ausgebildete Krankenschwester Chesty Morgan sicherte sich mit diesem Werk ein Plätzchen in der Filmgeschichte. Wenn auch nur in deren Schmuddelecke.

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