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Kultur: Weinen lernen

Kriegsfotos der Pulitzerpreisträgerin Marissa Roth im Willy-Brandt-Haus.

Wer sind die Opfer von Krieg? Und was geschieht mit ihnen, wenn der Krieg vorbei ist? Hatsuko Suzuki hat den Kopf von der Kameralinse abgewandt, ob aus Trauer, Scham, oder Überwältigung der Gefühle weiß der Betrachter nicht. In ihren arthritischen, faltigen Händen hält sie sacht ein altes Foto: ihr Ehemann, der 1945 auf japanischer Seite gefallen ist. Sie hat nie wieder geheiratet, weil es als ehrenrührig galt, einen neuen Mann zu nehmen, wenn der Ehemann im Krieg gefallen war. Die ewige Kriegswitwe.

„One Person Crying: Women and War“ heißt die Ausstellung mit Fotos der Journalistin und Pulitzerpreisträgerin Marissa Roth (8.3.-3.4., Di-So 12-18h, Willy-Brandt-Haus, Stresemannstr.28, Ausweis erforderlich), und doch weint auf den Fotos niemand. Marissa Roth zeigt keine Kriegsszenen, sondern die Nachkriegswelt.

Im Mittelpunkt ihrer Schwarz-Weiß-Fotografien stehen Frauen - die, die nach dem Krieg oft vergessen werden. Manche haben Kinder verloren, Ehemänner, einige wurden gefoltert, vergewaltigt, misshandelt, vertrieben, andere haben selbst gekämpft. Alle haben sie Wunden davon getragen – an Körper und Seele. In den Augen der Frauen lässt sich vieles erkennen – Trauer, Erschöpfung, Ratlosigkeit und unbeschreiblicher Schmerz über das Gesehene und Erlebte.

Aber eines haben sie gemeinsam: Sie haben überlebt und sie leben weiter. Bei Roth sind sie keine Opfer, sondern Kämpferinnen. Die Schauplätze sind so mannigfach wie der Krieg selbst: Vietnam, Nordirland, Kambodscha, Afghanistan, Pakistan, Bosnien und Herzegowina, Irak.

Allzu oft bleibt der Krieg für die, die nicht unmittelbar mit ihm konfrontiert sind, eine Reihung von Statistiken, Zahlen von unbekannten Toten und von unvorstellbarem Schrecken. Roth gibt dem Leid, das Krieg verursacht, ein Gesicht. Dabei schafft sie es, den Betrachter zu rühren und zu verstören, ihm eine Ahnung des Grauens zu vermitteln, die schrecklich genug ist. Roth ist eine Geschichtenerzählerin und eine demütige noch dazu. „Ich habe viel von diesen Frauen gelernt, auch das Weinen.“ Und doch: Die Tränen sind nicht zu sehen, sie versiegen mit der Zeit. Es bleibt nur das Leid.Annika Brockschmidt

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