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Kultur: Welcher König regiert dieses Land?

„Spuk am Tor der Zeit“, ein neuer Kinderfilm von Günter Meyer

Er ist der Spukfilmer. „Spuk unterm Riesenrad“ hieß sein erster Spukfilm Ende der Siebziger in der DDR, „Spuk am Tor der Zeit“ kommt jetzt ins Kino. Ein bisschen gespenstisch ist das schon. Günter Meyer rückt sich in seinem Sessel gerade, er sieht überhaupt nicht unheimlich aus, eher wie ein Oberbuchhalter. Er gehört zu denen, die „füneff“ statt „fünf“ sagen. Ein Korrektmensch. Vielleicht muss so sein, wer den fast täglichen Umgang mit Gespenstern probt. Oder es liegt daran, dass Meyer eigentlich Dokumentarfilmer ist, und die müssen genau sein. Jemand wie er ist großen Missverständnissen ausgesetzt. Ein Berliner Stadtmagazin mäkelt gerade, dass dieser neue Meyer-Spuk überhaupt nicht gruselig ist. Nur der halbe Horror. Aber liegt das nicht schon im Begriff des Spuks? Spuk ist die versöhnbare Unheimlichkeit, und meistens kann man dabei auch noch etwas lernen. Auf eine Generation, die von der „Sesamstraße“ erzogen wurde, wirken Meyers Filme natürlich etwas befremdlich. Aber genau darin liegt auch ihr größter Reiz. Sagen wir, es sind Kinderfilme älteren Typs. Traumfilme.

Meyer ist ein Ausnahmeregisseur. Einer der wenigen von der Defa, die heute erstens noch immer filmen, und zweitens genau das, was sie früher in der DDR auch schon gefilmt haben. Vielleicht ist Meyer der einzige. Spuk ist eben eine systemindifferente Tatsache. Der letzte Kinderfilm des DDR-Fernsehens war „Sherlock Holmes und die sieben Zwerge“ von Meyer. Der ORB hat ihn 1992 weitergedreht. „Sherlock Holmes“ fiel in eine Spuk-Pause. Ganz unmerklich haben sich Meyers Filme doch verändert.

Einst lag ein Skript des Eulenspiegelautors C.U. Wiesner bei der Defa, in dem genau solche Großeltern vorkamen, die jedes Kind haben will. Denn sie besitzen eine Geisterbahn. Als der Rummel abgebaut wird, müssen die Kinder die Geisterbahn aufräumen. Dabei zeigt sich, was jedes Kind ohnehin längst weiß: die Geister sind echt. Mehrere Regisseure hatten das Skript wieder stumm aus der Hand gelegt, aber der junge Dokumentarfilmer Meyer wusste sofort: Das ist mein Film! Endlich eine Geschichte, wie der einstige Karl-May-und-Erich-Kästner-Leser sie selbst geliebt hätte als Kind. Und Dokumentarfilm ist schließlich Dokumentarfilm. Dann dokumentiert er jetzt eben, wie Rumpelstilzchen, eine Hexe und ein Riese durch die Siebzigerjahre-DDR kommen. Meyer folgte dem Riesen mit der Kamera auf den Alexanderplatz, wo dieser angesichts der überaus seltsamen Bauwerke fragt: Welcher König regiert in diesem Land? – „Pittiplatsch, der Erste!“, erfährt der Riese und nickt: „Prächtig, prächtig!“

Meyer lacht. Diese Szenen mag er, und keiner hat sie rausgenommen. Denn es war unmöglich, einen Kinderfilm zu machen, ohne Anstoß an der DDR zu nehmen. Den alten Übermut haben Meyers neue Spuk-Filme nicht mehr. Sie sind romantischer geworden, das weiß er selbst. Irgendwie waren die frühen Spuks eher Gegenwartsfilme und die neuen sind mehr Vergangenheitsfilme, obwohl sich scheinbar nichts geändert hat. Noch immer ist der fliegende Wechsel zwischen Gestern und Heute der Hauptreiz dieser Geistergeschichten. Im neuen Film entdeckt der Junge Marco (Friedrich Lindner) in seinem kleinen Dorf durch Zufall einen Zeittunnel, der ihn direkt in das Jahr 1766 führt. Genauso unmittelbar landeten früher zwei ob ihrer Bosheit verfluchte Wirtsleute von 1780 in einem DDR-Hochhaus.

Denn wo einst das Wirtshaus stand, war nun ein Hochhaus, und ehe die beiden Untoten nicht sieben gute Taten vollbrachten, konnte sie keiner erlösen. Im Hochhaus wohnte auch ein UrUrUrUrEnkel des damaligen preußischen Gendarmen, so wie jetzt der 12-jährige Marco im Jahre 1766 auf seinen UrUrUrUrgroßvater Wilhelm trifft. Der sieht genauso aus wie er, weshalb Marco im Jahre 1766 gar nicht weiter auffällt. Das Gesicht des einstigen Dokumentarfilmers leuchtet. Wenn es sich lohnt, Geschichten präzise festzuhalten, dann doch solche. Trotzdem, der Spuk ist zuende, die neue Trilogie fertig. Jetzt dreht Günter Meyer einen Kriminalfilm. Er heißt „Der Dolch des Batu Khan“. Für Kinder und alle, die es werden wollen.

Im Alhambra, Broadway und CinemaxX Colosseum

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