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Kultur: Welt und All

Im Kino: Veit Helmer flüchtet in „Baikonur“ von dieser Erde

Veit Helmer ist vielleicht der volkstümlichste unter den nicht mehr ganz so jungen deutschen Regisseuren. Korrigieren wir das „tümlich“: Film für Film kultiviert er seinen Sinn für die skurrilen Seiten erdnaher Lebensformen. Übersichtlich müssen seine Schauplätze sein – so wie in „Tuvalu“ das fast verlassene Schwimmbad, von dem niemand weiß, wo es liegt. Und der Zuschauer erst recht nicht. Wo sich „Absurdistan“ befindet, erfuhr in Helmers letztem Film auch keiner, nicht einmal, ob eher in uns oder außen. Über U-Topien, Ortlosigkeiten verfügt dieser Regisseur. Bei „Baikonur“ ist das anders.

Lange war nur zu ahnen, wo die russische Weltraumrampe mit „Sternenstädtchen“ lag. Auf Landkarten war Baikonur um 400 km versetzt eingetragen – man wollte sehen, ob die Amerikaner darauf reinfielen. Ein Ortseingangsschild hat Baikonur bis heute nicht, und einen Spielfilm dort drehen zu wollen, ist eine Idee geradewegs aus Absurdistan. Weshalb Helmer anfangs als Weltraumfreak, als Vier-Tage-Tourist dorthin kam. Schon dieser Ausflug kostet mehrere tausend Euro. Wer aber noch etwas drauflegt, wird für eine Woche ins All geschossen – zum Sparpreis von nur 20 Millionen Dollar.

Auch die Erdflucht ist, wie die Erdnähe, eine große Sehnsucht des Menschen, und „Baikonur“ ist gewissermaßen ihre Inkarnation. Helmer interessiert, wie die Erdhaften neben den Erdflüchtern leben, die ewige Vergangenheit gleichsam neben dem Futurismus schlechthin. Denn miteinander, soviel ist klar, leben diese Nachbarn nicht.

Es geht um Juri Gagarin – aber nicht um den, der vor 50 Jahren als erster Mensch von Baikonur aus in den Weltraum flog, sondern um den jungen Nomaden Iskander, dem Alexander Asochakow die Zurückhaltung, das Traumgesicht und die Geduld des Tüftlers gibt. Und alle im Dorf nennen ihn Gagarin. Seine Jurte sieht aus wie eine kaputte Raumstation, und er sitzt den ganzen Tag drin, Kopfhörer auf den Ohren, Blick auf den Bildschirm wie die übrige Jugend dieser Erde. Aber Gagarin surft nicht im Internet, er hört die Funksprüche von Baikonur ab, wovon das ganze Dorf profitiert.

Helmer will das real existierende Absurde in dem Augenblick festhalten, wo es poetisch wird. Er ist gewissermaßen der kleine Bruder von Emir Kusturica. Aber es gelingt ihm nicht so wie diesem, ein Tempo zu entfesseln, durch das am Ende nichts wirklicher erscheint als der Aberwitz. Und wie oft ist auch ein Kusturica schon an sich selbst gescheitert!

Es hätte so schön sein können, nun „Baikonur“ zu mögen – schon weil das Wenigste darin erfunden ist. Die Nomaden der Kasachischen Steppe haben sich längst auch auf den Weg der Zivilisation begeben. Ganze Dörfer leben vom Weltraumschrott, den herabfallenden abgestoßenen Raketenstufen. Die Chinesen tauschen es gegen Fleischkonserven. Außerdem eignen sich die Raketenteile auch zum Jurtenbau. In dieser Steppenmission hat Gagarins Dorf längst einen Wettbewerbsvorteil, denn der Funker weiß immer, wann eine Rakete startet, und dann berechnet er die Flugbahn der abgesprengten Teile. Und die neue alte Steppengesetzgebung lautet: Was vom Himmel fällt, darf man behalten.

Eines Tages aber kommt die Landekapsel der jungen französischen Weltraumtouristin Julie Mahé (Marie de Villepin) von dort, und Gagarin findet sie. Und alles, was bei solcher Handlung – Helmer entwarf sie mit dem russischen Drehbuchautor Sergej Ashkenazy – zu befürchten ist, tritt ein. Am Ende ist es kinematografischer Weltraumschrott, leider.

Hackesche Höfe, Kant, Kulturbrauerei

und Rollberg

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