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Welt und Theater: Die neue politische Bühne ist grün

Das Theatertreffen 2011 ist so politisch wie lange nicht mehr. Nur erzählen die Macher keine Geschichten mehr. Die Bühne funktioniert jetzt als Bollwerk gegen die tägliche Flut von Katastrophenmeldungen.

Schiller ist auch im Angebot. Beim Berliner Theatertreffen begegnet man dem deutschen Klassiker, der das hohe Wort von der „Schaubühne als moralischer Anstalt“ prägte, gleich zweimal. Die Dresdner Inszenierung des „Don Carlos“ verhandelt Spielarten individueller Freiheit in einem geschlossenen politischen System, während das „Verrückte Blut“ vom Ballhaus Naunynstraße in Kreuzberg „Die Räuber“ zum Spielball einer handgreiflichen deutsch-türkischen Unterrichtsstunde macht. Pädagogik mit vorgehaltener Pistole. Kanak-Sprak und Sturm und Drang liegen so weit gar nicht auseinander: schlappe 230 Jahre.

Das Theatertreffen 2011, am Freitag im Haus der Festspiele eröffnet, hält so manche überraschende Lektion bereit. Es ist in diesem Jahr eine junge, von dezentralen Produktionsstätten angeführte Leistungsschau deutschsprachiger Theaterkunst, mit vielen neuen Namen. Vor allem aber gibt sich das Festival so politisch wie lange nicht mehr. Das ist, denkt man an Wilhelm Tell, im Grunde ein alter Tyrannenhut. Ob Büchner oder Brecht, Heiner Müller oder Gerhart Hauptmann, Lessing oder eben Schiller: Die deutsche Theatertradition lässt sich ohne revolutionären Antrieb gar nicht denken. Geändert hat sich die Form, in der das Politische dargereicht wird.

Die Theatermacher gehen jetzt dokumentarisch vor. Sie erzählen keine Geschichten, sie sammeln Daten. Das Drama liegt nicht in der Fiktion, sondern im Faktischen. Die Bühne funktioniert als Bollwerk gegen die tägliche Flut von Katastrophenmeldungen, Schauspieler werden zu Moderatoren einer immer unübersichtlicheren Weltlage. Die Seligsprechung eines Papstes, die ständigen globalen Krisengipfel, das Foto aus dem „Situation Room“ des Weißen Hauses bei der Liveübertragung der Liquidation bin Ladens: Das Theater kann mit derart dichten Inszenierungen der Wirklichkeit nicht mithalten. Zu mächtig ist die Theatralität der Außenwelt. Die Kunst kapituliert und zieht sich zur Beobachtung zurück. Und macht dabei viel Lärm.

Solche Stücke handeln weniger von den Mächtigen, sie illustrieren die Ohnmacht der Masse. Keine Rollen oder Charaktere mehr, bloß anonyme Typen. Die Auftaktinszenierung des Theatertreffens vom Schauspiel Köln mit Texten Elfriede Jelineks wirkt beispielhaft für diesen Trend. Der Einsturz der Kölner U-Bahnbaustelle, die mörderischen Pannen beim Bau des alpenländischen Wasserkraftwerks Kaprun: Darüber sinniert und schwadroniert die Nobelpreisträgerin, und die Kölner Intendantin Karin Beier stimmt eine Sinfonie des allgemeinen Weltunbehagens an. Der Mensch wird vorgeführt als Schöpfer von Naturkatastrophen, Technik denunziert als reines Teufelswerk. Nicht wir haben Mitleid mit dem armen Woyzeck, das Theater hat Mitleid mit uns. Wir sind alle Opfer.

Im letzten Jahr war Karin Beier mit einer fernsehmäßigen Simulation von Hartz-IV-Existenzen im Glascontainer zum Theatertreffen eingeladen. Sie trifft offenbar den Nerv der Zeit und gehört hierzulande zu den derzeit erfolgreichsten Theatermachern. Demnächst übernimmt sie das Deutsche Schauspielhaus Hamburg. Dort hat auch schon Volker Lösch gearbeitet, ein anderer Volkstheatertribun. Die neue politische Bühne ist grün. Sie stellt Betroffenen-Chöre an die Rampe, artikuliert ohne lange künstlerische Umwege Protest und Frustration und Angst. „Stuttgart 21“ ist längst nicht abgespielt, es ist überall. Bald auch in Ihrem Theater.

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