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Kultur: Weltbürger mit Widersprüchen

Eine Erinnerung an Karlheinz Barck.

Dass Karlheinz Barck und ich in den späten Jahren der DDR vom spanischen Attaché in Ostberlin einen Orden an die Brust geheftet bekamen, war für uns Anlass zu verlegener Heiterkeit. Der Orden machte uns zum Ritter der spanischen Königin Isabella, und es bekam ihn, samt vom König Juan Carlos unterschriebener Urkunde, wer sich um die spanische Kultur verdient gemacht hatte.

Unsere Freundschaft begann an jenem Tag im November 1965, da eine „Arbeitsgruppe zur deutsch-französischen Aufklärung“ an der Ostberliner Akademie der Wissenschaften einen ihrer Assistenten per Scherbengericht verdammte. Diese angehenden Wissenschaftler verurteilten einen Roman, den sie gar nicht gelesen hatten. Barcks unbestechlicher wissenschaftlicher Ethos revoltierte – und er riskierte, da er für mich eintrat, ein Parteiverfahren.

Der 1934 in Quedlinburg geborene Romanist, Literaturhistoriker, Herausgeber, Übersetzer, der über Ortega y Gasset promoviert hat, war ein Widerspruch an sich. In den Jahren, da eine im antifaschistischen Geist erzogene Jugend an einen Fortschritt glaubte, der sich aus den Schriften der französische Aufklärer fortschrieb, hatte für ihn „die Partei immer recht“. Da waren wir unterschiedlicher Meinung. Denn wo blieb in diesem positiven Weltbild die Avantgarde des Surrealismus? Die kafkaeske Ästhetik im Roman „PLN“ unseres Lehrers Werner Krauss? Barcks arger Weg der Erkenntnis begann mit einer Rezeption Erichs Auerbachs („Auerbachs Alphabet“) und überraschte uns 1986 mit dem bis heute gültigem Standardwerk „Surrealismus in Paris 1919 bis 1939. Ein Lesebuch“.

In den Jahren nach dem Fall der Mauer wird dieser Wissenschaftler ein Weltbürger, der in Paris, in Rio de Janeiro oder in Montreal seine Vorlesungen hält, mit immer neuen Publikationen eine entgrenzte Welt entdeckt, die ihre kulinarischen Genüsse anbietet und in der Kunst, in der Musik zeigt, dass die Sinne ein Transportmittel des Geistes sind. Begierig wartete ich auf Barcks Mitteilungen, welche Jazzmusiker im New Yorker „Blue Note“ auftraten.

In den Monaten vor seinem Tod, das Urteil der Ärzte wie ein Diktum von Scharfrichtern vor Augen, konnte er lange schweigen, als fände er keine in Worten zu kleidende Lösung. In Zukunft würde sein umfangreiches Werk losgelöst von ihm existieren. Das Welttheater würde en suite weiterspielen, aber alle Eintrittskarten sind vorbestellt und vergeben. Am letzten Sonnabend ist Karlheinz Barck in Berlin gestorben. Fritz Rudolf Fries

Der Autor, 1934 im spanischen Bilbao geboren, lebt als Schriftsteller in Petershagen bei Berlin. In der Anderen Bibliothek ist gerade sein Roman „Der Weg nach Obliadooh“ neu aufgelegt worden.

Fritz Rudolf Fries

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