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Kultur: Weltweh

Zum 100. Geburtstag des großen kleinen Tenors Joseph Schmidt

Er ist der „singende Joschi“ und der „Rundfunk-Caruso“, er besitzt einen der ersten Schallplatten-Festverträge überhaupt und gilt, eher unausgesprochen, als der Antipode Richard Taubers im Berlin der Zwanziger- und Dreißigerjahre: der Tenor Joseph Schmidt. Ein charismatischer Typ mit dunklen Augen, buschigen Brauen und starker Nase. Ein Künstler, dem sehr früh und leicht alles zu gelingen scheint.

Schmidt, aus einer orthodoxen jüdischen Familie stammend, singt bereits als Kind im Synagogenchor von Czernowitz und studiert schließlich auf Geheiß seines Onkels Leo Engel – der ihn fördert und später managt – in Berlin Gesang. Schon seine ersten Auftritte sorgen für Furore, und die vergleichsweise neuen Medien Rundfunk und Schallplatte machen ihn rasch zu dem, was die Phonographische Zeitschrift 1930 einen „Sänger unserer Zeit“ nennt. Den Gipfel seiner Popularität erreicht Joseph Schmidt 1932 mit dem Tonfilm „Ein Lied geht um die Welt“, in dem er gewissermaßen sein eigenes Schicksal besingt: Das eines zwergenhaften Tenors, in dessen „magisches“ Timbre sich viele Frauen unsterblich verlieben, der aber letztlich sein Glück in der Liebe nicht findet.

Im so genannten richtigen Leben bleibt die Opernbühne Schmidts großer Traum. Ein einziges Mal, im Januar 1939, als die Nazis ihn aus Deutschland längst vertrieben haben, tritt er dort leibhaftig auf: als Rodolfo in Puccinis „Bohème“ am Brüsseler Théatre de La Monnaie. Ansonsten traute man dem gerade einmal 1,50 Meter großen Sänger die Bühne schlicht nicht zu: Welcher Operetten-Charmeur, welcher Cavaradossi, Herzog oder Tamino wäre wohl glaubwürdig, der seinen Widersachern und Angebeteten nur knapp bis unter die Achselhöhle reicht? Das Kino kannte da andere Möglichkeiten ...

1933 geht Joseph Schmidt nach Wien (für Filme wie „Heut ist der schönste Tag in meinem Leben“), unter dem Druck der Gestapo flieht er zunächst nach Brüssel, später weiter Richtung Südfrankreich. Auf abenteuerlichen Wegen gelangt der Tenor im Oktober 1942 schließlich in die Schweiz (die ihn zweimal zurückweist!), wo er am 16. November in einem Internierungslager an einem unbehandelten Herzleiden stirbt. Der 38-Jährige war in Zürich auf offener Straße zusammengebrochen – entkräftet, ohne Pass, ohne Visum, ohne Geld. Neun Menschen erweisen ihm auf dem Israelitischen Friedhof in Zürich die letzte Ehre, der Legende nach regnet es in Strömen.

Selbst bei durchschnittlicher Körpergröße wäre Joseph Schmidt allerdings keine Opernkarriere im Stile seiner Radio- und Kinoerfolge beschieden gewesen. Die Stimme, ein lyrischer Tenor von ungemein elegischer, schöner, weich schattierter Qualität, entfaltet zwar in der Höhe faszinierende Leuchtkraft und Brillanz, verfügt in Mittellage und Tiefe jedoch über eine eher bescheidene Tragfähigkeit. Herbert Grenzebach, einer der ersten Aufnahmeleiter der Plattenfirma Ultraphon, deren 39 Titel mit Joseph Schmidt im Rahmen der Reihe Telefunken Legacy vor zwei Jahren wiederaufgelegt wurden, formulierte Schmidts Geheimnis einmal so: Der Tenor habe die ideale Mikrofonstimme besessen, alle ihre Rauheiten und Schärfen seien durch die moderne Aufnahmetechnik in „pures Gold“ verwandelt worden.

Ein „Sänger unserer Zeit“? Schmidt war – und das belegen seine sentimentalen Filmlieder ebenso wie Verdis „Ah si ben mio“, Léhars „Land des Lächelns“ ebenso wie Halévys „Jüdin“ – zugleich mehr und weniger als das. Er war ein immer Klagender. Einer, dem Leid und das Unrecht dieser Welt in die Kehle gelegt wurde. Heute wäre Joseph Schmidt 100 Jahre alt geworden.

Heute um 19 Uhr findet im Rathaus Köpenick ein Festakt zu Ehren Joseph Schmidts statt. Am 9. März wird im Filmhaus am Potsdamer Platz der Film „Ein Lied geht um die Welt“ gezeigt. Am 24. März ehrt die Berliner Jüdische Gemeinde den Tenor ebenfalls mit einem Festakt, bei dem Finanzminister Hans Eichel (SPD) die Joseph-Schmidt-Sonderbriefmarke vorstellt.

Christine Lemke-Matwey

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