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Kultur: Weltwirtschaft: Wenn die Welt handelt

Die Idee ist so einfach wie überzeugend: Wer arbeitet, genug zu Essen hat, sich kleiden und bilden kann, eine Wohnung und ein auskömmliches Leben hat, wird nicht zum Terroristen. Im Gegenteil - der materiell gesichert lebende Mensch wird alles unternehmen, dass Krieg und Unruhe in seiner Umgebung nicht stattfinden.

Die Idee ist so einfach wie überzeugend: Wer arbeitet, genug zu Essen hat, sich kleiden und bilden kann, eine Wohnung und ein auskömmliches Leben hat, wird nicht zum Terroristen. Im Gegenteil - der materiell gesichert lebende Mensch wird alles unternehmen, dass Krieg und Unruhe in seiner Umgebung nicht stattfinden. Schließlich will er seinen Wohlstand, so bescheiden er auch sein mag, nicht gefährden. Zum Thema Online Spezial: Terror und die Folgen Themenschwerpunkte: Gegenschlag - Afghanistan - Bin Laden - Islam - Fahndung Fotostrecke: Bilder des US-Gegenschlags Soweit die Theorie, die vor allem jetzt, in den Zeiten des Terrors, von allen westlichen Regierungs- und Konzernchefs vertreten wird. Weltweit soll dieser Zustand von Wohlstand, Friede und Freude herrschen, ausgelöst und gesichert durch den freien Welthandel. Auch diese Annahme ist eine Theorie geblieben, wenngleich sich die Welthandelsorganisation (WTO) und die sie beherrschenden Industrieländer bemühen, das Gegenteil zu beweisen.

"Es ist richtig, dass die weltwirtschaftlichen Verhältnisse ein wichtiger Faktor für Bürgerkrieg und Terror sind", sagt Peter Wahl von der Nichtregierungsorganisation "Weed", die seit Jahren die Politik der WTO, Weltbank und des IWF kritisch begleiten. "Aber", fügt Wahl hinzu, "bislang hat die Globalisierung sehr viele Verlierer und nur wenige Gewinner."

Die ärmsten Staaten bleiben abhängig

Zu den Verlierern gehören allein die ärmsten der unterentwickelten Staaten, die jährlich bis zu 600 Millionen Dollar durch die Globalisierung verlieren. Sie haben keine Industriegüter, die sie auf dem freien Weltmarkt verkaufen könnten. Die ärmsten Staaten sind im Gegenteil von teuren Importen abhängig, leiden unter dem Verfall der Rohstoffpreise und dem Wegfall der Zölle, die oftmals die einzige verlässliche Einnahmequelle des Staates bildeten. Das von der Weltwirtschaft vergessene Afrika südlich der Sahara verliert dadurch über 1,2 Milliarden Dollar im Jahr. Dafür fließen 100 bis 300 Milliarden Dollar aus dem freien Welthandel in die Industrieländer - das sind rund 70 Prozent des gesamten neuen Wohlstands nach der letzten Liberalisierungswelle.

Gute Chancen, zumindest einen erklecklichen Teil der Sahnetorte zu bekommen, haben immerhin Lateinamerika, China und die aufstrebenden Staaten Asiens. Der reiche Norden verteilt jedoch auch seine Investitionen nach diesem Schlüssel, so dass die Entwicklungsländer kaum an die begehrten Direktinvestitionen der Industrieländer kommen. Sie investieren den Großteil in anderen Industrieländern, und nur ein Drittel ihres Geldes in den Schwellenländern wie Argentinien oder Malaysia. Die 136 Entwicklungsländer bekommen zusammen weniger, als Großbritannien allein. Das sind die trockenen Zahlen, die nicht von Globalisierungsgegnern stammen, sondern von der Weltbank oder den Vereinten Nationen.

Aber auch innerhalb der Länder - egal, ob Entwicklungs- oder Industrieland - verteilt sich der Wohlstand entlang der herrschenden Gesellschaftsschichten. Mit anderen Worten heißt das, dass die Besitzenden mehr bekommen, die Ärmeren weniger. Auch dies ist keine Erkenntnis linker Splittergruppen, sondern der UN-Arbeitsorgansisation.

Die WTO gibt zu, dass "nicht alle Länder voll und ganz an den Vorteilen der Globalisierung teilhaben". Die Anhänger des freien Marktes ziehen daraus jedoch nur einen Schluss: die Liberalisierung des Handels muss weiter gehen. Barbara Unmüßg, die für "Weed" an allen Weltbanktreffen und Weltwirtschaftsgipfeln teilnimmt, warnt vor "jeglicher Illusion". Sie hält es für "völligen Quatsch", dass mit mehr Handelsfreiheit Terrorismus oder Krieg bekämpft werden kann. Denn schließlich gibt es nicht nur materielle Gründe für die Gewalt und den aufgestauten Hass im Nahen Osten und Zentralasien. "Es ist die permanente Demütigung durch den Westen", sagt Peter Wahl. Die Industrieländer zeigen zwar den zornigen jungen Männern im Maghreb gern ihre Glitzerwelt, lassen sie aber nicht herein.

Die Debatte bestimmt der Westen

Daran wird auch die nächste Welthandelsrunde nichts ändern. Am 9. November wollen sich die Minister und Staatschefs in Katar am Persischen Golf treffen, um die weitere Liberalisierung zu diskutieren. Es kann Jahre dauern, bis sie zu einem Ergebnis kommen. Das wäre für die Entwicklungsländer jedoch nicht das Schlimmste, brauchen sie sowieso mehr Zeit für eine politische und wirtschaftliche Entwicklung. Schwieriger ist, dass schon das Diskussionspapier der WTO deutlich von den Interessen der Europäischen Union und den USA geprägt ist. "Schwerwiegende Ungerechtigkeiten und Probleme", sieht der Verhandlungsführer des "Third World Networks", Bhagirath Lal Das, auf die Entwicklungsländer in Katar zukommen. Für sie ist entscheidend, dass über den Verfall der Rohstoffpreise diskutiert und eine Lösung dafür gefunden wird. Daran haben die von den Rohstoffimporten abhängigen Industrieländer kein Interesse.

Die Staaten Afrikas wollen die Patente auf lebende Organismen verhandeln - schließlich droht Afrika von Pharmakonzernen geplündert zu werden. Die WTO ist daran nicht interessiert. Denn sie weiß: Die EU würde solche Verhandlungen ablehnen. Der Wandel durch Handel wird also weiter Theorie bleiben. Durch die lahmende Konjunktur in den Industrieländern und einer drohenden Rezession wird der Druck auf die ärmeren Länder eher größer - nicht kleiner.

Ulrike Fokken

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