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Kultur: Wen der Berg ruft

Die letzten Helden des heroischen Zeitalters: Rammstein veröffentlichen schon wieder ein Album

Das Letzte, was man von ihnen hörte, klang ziemlich normal. Rammstein ließen eine Fanpage im Internet verbieten, auf der unautorisiert Bilder von ihnen erschienen waren. In Glasgow mischten sie eine After-Show-Party auf, indem sie mit Styroporplatten um sich schlugen und „Klappstühle als Luftgitarren missbrauchten“. Und schließlich kippten sie gerichtlich eine Coverversion von „Schnappi, das kleine Krokodil“. Ein Berliner Radiomoderator hatte das Kinderlied im Stil der Band aufgenommen, mit brachialen Gitarren und Gurgelgesang.

Nichts Ungewöhnliches also für Superstars, die sich aller erdenklichen Zudringlichkeiten erwehren müssen. Etwas kleinlich ist es auch. Was ist schon so ein bisschen Sachschaden im Vergleich zu den feuilletonistischen Meinungsschlachten, die Rammstein früher zu entfesseln vermochten? Damals wussten die Männer um Sänger Till Lindemann das bürgerliche Establishment wirklich zu schocken. Ihre musikalische Aggressivität war ohne Vergleich. Ihre pyromanischen LiveShows beerbten zwar den Feuerzauber von Glamrock-Boliden wie Kiss und Alice Cooper, doch zapften die 1995 auf ihrem Debütcover mit entblößten Muskelkörpern posierenden Männer ein tiefer sitzendes Unbehagen an. Sie waren die vom Staatssozialismus der DDR geleugneten Findelkinder der Punk-Bewegung. Heimlich ausgesetzt und vergessen. Nun hämmerten sie als Erben von Kraftwerk und AC/DC an die Tür der Bundesrepublik.

Doch das Diabolische, das Gemeine und Verletzende ist aus dem Rammstein- Kosmos verschwunden. Auf ihrem morgen erscheinenden fünften Studioalbum „Rosenrot“ (Universal) präsentieren sich Lindemann & Co als gewöhnliche Metal- Rocker. Die beiden Gitarren von Paul Landers und Richard Kruspe-Bernstein, deren Unisono-Riffs früher von Flake Lorenz’ technoiden Synthesizer-Sounds im Zaum gehalten wurden, regieren nun unumschränkt. Die Songs drängen in die Breite, werden hymnischer und verlieren ihren martialischen Gestus. Monotone Up-Tempo-Kracher sind ebenso darunter wie anschwellende, reich orchestrierte Minidramen.

Allerdings gehen Texter Lindemann langsam die provozierenden Themen aus. Über Kindesmissbrauch („Tier“), Kannibalismus („Mein Teil“), Vergewaltigung („Weißes Fleisch“), Sex („Bück Dich“, „Rein Raus“), Masochismus („Bestrafe mich“) und über Unglücke wie die Flugschau-Katastrophe in Ramstein hat er sich bereits ausgelassen. Nun geraten Probleme wie Destruktionslust („Zerstören“), Todeskitzel und Voyeurismus („Spring“) in den Blick. „Mann Gegen Mann“ ist der unverhohlene Versuch, schwulen Sex gleichzeitig als Ringkampf und Erlösung zu beschreiben. Wobei es auch heißt: „Doch friert mein Herz an manchen Tagen/ Kalte Zungen, die da schlagen.“ Das heiße Begehren wird in den Eiszeiten der Gegenwart nur umso schmerzhafter erfahren.

Das „Rosenrot“-Cover ziert die Aufnahme eines Atomeisbrechers, der im Packeis stecken geblieben ist. Eine Parabel auf die Band? Ein Bekenntnis, dass die eigene Karriere, die auf dem letzten Album noch als „Sturm“ besungen wurde, festgefahren ist? Wie es heißt, haben die sechs Musiker zunehmend Schwierigkeiten, miteinander auszukommen. Was nicht verwundert angesichts der disparaten Ausgangslage. So musste Keyboarder Lorenz Anfang der Neunziger lange überredet werden, bevor er einstieg, die Musikrichtung fand er langweilig. Till Lindemann, der Leistungsschwimmer in der DDR-Auswahl sowie Jugend-Vizeeuropameister war, verfolgt als „sangloser“ Sänger, wie er sich sieht, bis heute vor allem literarische Ambitionen – und soll ein neurotischer Quälgeist sein. Der Erfolg hat sie zusammengeschweißt. Von jeder Rammstein-Platte werden weltweit im Schnitt 1,5 Millionen Exemplare verkauft, sie sind auf die Chartspitze abonniert.

Das neue Dutzend „Rosenrot“-Songs geht zum Teil auf dieselbe Aufnahme- Session zurück wie vor einem Jahr „Reise, Reise“. Im spanischen Malaga dürfte so auch „Te Quiero Puta“ (Ich liebe dich, Schlampe) entstanden sein, ein Liebeslied – sofern es das bei Rammstein überhaupt geben kann –, in dem Lindemann, angestachelt von Mariacchi-Trompeten sagt, worauf es bei Frauen ankommt. Nicht aufs Herz. „Mir gefällt, wie du schmeckst und deine Zitrone“, heißt es da, „gib mir von deiner Frucht“.

Das ist so hölzern formuliert, dass sich ein zweiter Blick auf die psychopathisch grundierte Pennäler-Lyrik des Frontmanns eigentlich von selbst verbietet. Andererseits verdammen Rammstein Schwäche, Geborgenheit, Zärtlichkeit und humanistische Werte mit einer solchen Konsequenz, dass ihr Werk sich nahtlos in den Motivkreis der konservativen Kulturkritik einreiht, wie sie von Nietzsche, Ernst Jünger und Carl Schmitt bis hin zu Heiner Müller forciert wurde. Die Heavy-Metal- Dompteure wollen nicht Trost spenden in der von zunehmender sozialer Kälte geprägten Nachwende-Ära. Sie üben mit ihren Songs „Verhaltenslehren der Kälte“ ein, die der Literaturwissenschaftler Helmut Lethen als Merkmal einer im Kern zerstörten, heroischen Männlichkeit analysiert hat. Die Botschaft von Rammstein an die Geschlechtsgenossen lautet: Im „Gletscher der Gesellschaft“ (Lethen) triumphiert, wer den Frost schon in sich trägt.

In „Feuer und Wasser“ wird dieser Mechanismus vorgeführt: Eine Frau zieht im Schwimmbad ihre Bahnen, während wir aus der Perspektive eines Tauchers zwischen ihre Beine blicken. Sie sei „kalt wie Eis“, heißt es. Von Anfang an ist dieser gehemmten Annäherung etwas Vergebliches eigen, das dem Sänger eine noch kältere, unempfindlichere Haltung nahe legt. „Da ist keine Hoffnung und keine Zuversicht“, tönt er, während sich die E-Gitarren schleppend dem Finale nähern. Um das Werk legt sich ein Tiefkühlpanzer, der mit dem „Eismeer“ als Spiegel der Seelenlandschaft treffend illustriert ist.

So ist denn das Interessanteste an Lindemanns verquasten Texten, dass aus ihnen dieselbe „Weißglut des Martyriums“ spricht, die Jünger gut hundert Jahre vorher zum Signum der neuen Eliten erhob. Nach dem Ersten Weltkrieg war die Beschwörung des Einzelkämpfers durch die konservativen Revolutionäre ein Befreiungsakt, der sich gegen einebereits geschwächte Bürgerlichkeit richtete. „Lobet die Kälte, die Finsternis und das Verderben“, forderte auch Brecht. Dass Rammstein auf dieser Klaviatur mit den Mitteln der Popmusik spielen, zeigt die Hilflosigkeit derer, die sich mit den Regeln identifizieren wollen, die sie bedrücken.

Dazu passt, dass Lindemann seine Texte aus Versatzstücken der schwarzen Romantik zusammensetzt, Grimms Märchenwelt adaptiert und sie dem Publikum mit grollender Verachtung hinwirft. Im Titelstück, einem Bastard aus Goethes „Heidenröslein“ und Schillers „Taucher“, klettert ein Jüngling auf einen Berg, um seiner Geliebten ein Röslein zu bringen. Er stürzt ab. Nicht als Opfer seiner Hybris, sondern weil der Berg es so gewollt hat. Normal ist das nicht.

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