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Kultur: Weniger ist Meer

Operndebüt: Die Choreografin Sasha Waltz inszeniert Purcells „Dido und Aeneas“ in Luxemburg

Hätte vor 25 Jahren jemand die Behauptung aufgestellt, die Oper sei keineswegs tot, sondern würde ganz im Gegenteil ihre zentrale Stellung im Kreis der darstellenden Künste im kommenden Jahrhundert triumphal behaupten können – er wäre vermutlich ausgelacht worden. Denn spätestens seit den Fünfzigerjahren galt Musiktheater, ähnlich wie das gemalte Tafelbild in der Bildenden Kunst, als Auslaufmodell und stand unter dem Generalverdacht des Musealen. Das Spannende, ästhetisch und gesellschaftlich Relevante, so der Tenor, passiere längst anderswo: im Tanztheater beispielsweise, das sich leichter von den klassischen Fesseln löst, oder im Film.

Aber die Oper ist nicht tot, sondern erlebt seit einigen Jahren einen beispiellosen Boom nicht nur von Publikums-, sondern auch von Künstlerseite. Filmemacher, Schauspielregisseure, Choreografen, Bildende Künstler, ja sogar Architekten, sie alle drängt es zur Oper, und zwar nicht zu neuen, zeitgenössischen Stücken, sondern gerade zu den vermeintlich alten Kamellen des Repertoires: zu Verdi und Wagner, zu Mozart und Puccini – vielleicht ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis Harald Schmidt die „Zauberflöte“ stemmt. Die Erklärung dafür ist einfach: Gerade weil die Oper als Gesamtkunstwerk seit jeher die verschiedensten Disziplinen eingebunden hat, ermöglicht sie eben auch die verschiedensten Zugänge und erweist sich trotz ihrer Gebundenheit an eine Partitur nicht als hermetische, sondern als erstaunlich offene Kunst.

Auch Sasha Waltz hat es jetzt zur Oper gezogen. Dass die mittlerweile in ganz Europa gefeierte Choreografin irgendwann einmal dieser Versuchung erliegen würde, ließ sich spätestens bei ihrem Schubert-Capriccio „Impromptus“ an der Schaubühne erahnen. Nun also Purcells „Dido und Aeneas“, erarbeitet und uraufgeführt am Luxemburger Theater, dann weitergereicht nach Montpellier und ab 19. Februar auch an der Berliner Staatsoper zu sehen.

Eine in mehrfacher Hinsicht einleuchtende Wahl, denn Purcells barocke Kurzoper bietet durch die zahlreichen eingestreuten Tänze nicht nur genug Anknüpfungspunkte für eine vom Tanz bestimmte Ästhetik, sondern ist in ihrer kleinteiligen Anlage auch offen für choreografische Einlagen mit oder ohne Musik, ja muss sogar angesichts ihrer knappen Spieldauer von gut fünfzig Minuten durch solche Zutaten erst auf volle Abendspiellänge gebracht werden.

Waltz startet furios, taucht sofort ein in Purcells Musik – im wahren Sinn des Wortes: Während des vom musikalischen Leiter Attilio Cremonesi arrangierten Prologs (teils gesprochen, teils rein instrumental) tummeln sich die Waltz-Tänzer in einem bühnenbreiten, blassgrün beleuchteten Aquarium, bilden einen bewegten Fries der Leidenschaften, während die beiden Sprecher die Tritonen und Nereiden der Meere heraufbeschwören. Eine zugleich machtvolle wie feingliedrige Setzung ist das, die auf verblüffende Weise zu dem Klangbild passt, das Cremonesi für die Berliner Akademie für Alte Musik konzipiert hat: Es herrscht ein voller, geradezu plastischer Ton, der zugleich Tiefenstaffelung und vielgliedrige Lebendigkeit besitzt. Barock als fortwährend neu gewichtete Synthese von Gewicht, Farbe und Bewegung.

Es ist eine akustische Bildergalerie, die Cremonesi da reiht: Formale Zäsuren werden dadurch betont, dass die Continuo-Gruppe in den Orchestersätzen schweigt, solistische Instrumentaleinschübe und Klangfarbtupfer (Kastagnetten) setzen die einzelnen Szenen voneinander ab, die phantasievoll ausgestaltete Wiederholungen einzelner Gesangsnummern durch das Orchester weitet die Episoden ins Tableauhafte und gibt Waltz den nötigen Raum zu tänzerischer Vor- und Nachbereitung des Geschehens.

Freilich müsste Waltz die Oper nicht nur kommentieren, sondern erst einmal erzählen – und genau das bereitet ihr noch einige Schwierigkeiten. Denn anders als ihr Kollege Joachim Schlömer wird Waltz in der Oper nicht zur Regisseurin, sondern bleibt Choreografin. Als ob sie der ureigenen Ausdruckskraft der Musik nicht trauen würde, stellt sie den Sängern Tänzer zur Seite, die Gefühle verbildlichen. Das zieht Aufmerksamkeit von Musik und Sängern ab, ohne dem Stück jedoch eine zusätzliche Tiefendimension zu erschließen – wenn die verlassene Karthagerkönigin sich ihre Seelenpein vom Leibe singt, versteht man das auch ohne Gebärdendolmetscher. Paradoxerweise scheitert Waltz, gerade weil sie sich der Gefühlswelt von Purcells Musik besonders nahe fühlt: Die Chance, die Gefühlsverwerfungen des Stückes durch eine strenge Stilisierung in einen übergeordneten Erklärungsrahmen zu spannen, nutzt sie nicht.

Dabei hätten die Sänger szenische Hilfestellungen durchaus nötig gehabt. Denn vor allem die junge Französin Aurore Ugolin kann rein vokal nur sehr begrenzt charakterisieren: Die Stationen von Hoffnung, Glück und Verzweiflung, die diese Frau in kurzer Zeitspanne durchmisst, finden kaum Farben in Ugolins leichtem, resonanzarmen Mezzosopran, auch Aeneas (Reuben Willcox) und die ungewöhnlicherweise mit tiefer Männerstimme besetzte Zauberin (Fabrice Mantegna) können unter diesen Umständen wenig Charisma vermitteln.

Gelungen ist dieser Abend dort, wo es entweder ganz um Musik oder aber ganz um Tanz geht: In dem großen stummen Intermezzo beispielsweise, das Waltz am Ende des ersten Aktes einfügt, einer launigen Kostümfest-Fantasie, in der auch der Umschlag von Partystimmung zur finsteren Hexengrotte ganz behutsam, aber doch spannungsvoll vor sich geht – nur in solchen Momenten, in denen der Tanz sich fast völlig von den Zwängen der Geschichte emanzipiert, findet er zu seiner eigenen Poesie. Wenn schon nicht zur höfischen pressure group, so werden die Tänzer der Waltz-Truppe und die fabelhaften Choristen des Vokalconsorts Berlin doch wenigstens zu Wellen und Bäumen, die eine dekorative Atmosphäre schaffen.

Vielleicht hatte Sasha Waltz einfach zu viel Respekt – statt, wie Alain Platel bei seiner furiosen Mozart-Orgie „Wolf“, das Genre als Steinbruch für eine komplette Neuinterpretation des Begriffs vom „Gesamtkunstwerk“ zu benutzen. Die Oper hat auch diese radikale Verhackstückung überlebt. Und sogar gut vertragen.

An der Berliner Staatsoper im Rahmen der Cadenza Barocktage am 19., 21., 23., 25. und 27. Februar.

Jörg Königsdorf

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