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Kultur: Wenn das Hermine wüsste Lev Grossmans Roman „Fillory. Die Zauberer“

Quentin ist ein hoffnungsloser Träumer. Als Kind hat er Bücher über ein Fantasy- Land namens Fillory verschlungen, und jetzt, kurz vor dem Highschool-Abschluss, sucht er in seiner Heimatstadt New York noch immer nach „einer Geheimtür zu einer anderen Welt“.

Quentin ist ein hoffnungsloser Träumer. Als Kind hat er Bücher über ein Fantasy- Land namens Fillory verschlungen, und jetzt, kurz vor dem Highschool-Abschluss, sucht er in seiner Heimatstadt New York noch immer nach „einer Geheimtür zu einer anderen Welt“. Stattdessen wird er einfach nur erwachsen – doch dann passiert es. An einem grauen Wintertag stolpert er in Brooklyn auf einem unbebauten Grundstück am Hudson River mitten in eine Parallelwelt. Englischer Rasen, Terrassenbeete, ein unheimliches Haus: Es ist nicht Fillory, aber das „Brakebills College für Magische Pädagogik“. Und Quentin ist zur Aufnahmeprüfung eingeladen worden. Auch nicht schlecht.

Das Vorbild für Lev Grossmans Roman „Fillory. Die Zauberer“ ist leicht zu erraten. Brakebills hat auffallende Ähnlichkeiten mit Hogwarts, und wenn Quentin unter der Aufsicht von Hexen, Kobolden und anderen skurrilen Lehrmeistern Zaubersprüche und „Zirkumstanzien“ paukt, erinnert das doch sehr an das Schicksal von Harry Potter. Ökonomisch ist das leicht nachzuvollziehen: Joanne K. Rowlings Bücher haben sich allein in Deutschland über 25 Millionen mal verkauft, an Kinder und Erwachsene. Ein Harry-Potter-Klon kommt da wie gerufen – auch wenn Grossmans Roman nicht ganz so familienfreundlich ist. Seine Zauberlehrlinge interessieren sich für Chardonnay und Kokain, haben schwulen Sex und flüstern plötzlich ganz andere Beschwörungsformeln: „Kleine Schlampe. Du kennst die Regeln.“ Hoppla. Erzählt das bloß nicht Hermine!

Sex, Drogen, Rock ’n’ Roll – das also ist das Alleinstellungsmerkmal von „Fillory. Die Zauberer“. Der Amerikaner Lev Grossman, Jahrgang 1969, liefert die Anschlusslektüre für alle Harry-Potter- Fans. Aus Verlagssicht ist dieser Roman darum kein Plagiat, sondern ein Glücksgriff. Die deutsche Übersetzung erscheint bei S. Fischer, wo mit dem Imprint FJB ein Label für Vampirgeschichten, Mystery Thriller und Fantasy-Stoffe für „junge Erwachsene“ gegründet wurde. Eine Facebook-Seite gehört auch dazu, wegen der „Community“, mit Gewinnspielen und pseudoliterarischem Smalltalk. So sieht der Buchmarkt der Zukunft aus. Die romantische Vorstellung eines individualisierten Leseerlebnisses hat längst ihre Anziehungskraft verloren – bei Designerprodukten wie „Die Zauberer“ zählt nur die Zielgruppe.

Das weiß auch Grossman, der als Literaturkritiker für das „Time Magazine“ arbeitet. Vielleicht ist darum die Entzauberung der Literatur und der Lektüre selbst das Thema seines Romans. In der zweiten Hälfte gelangt Quentin mit seinen neuen magischen Fähigkeiten tatsächlich nach Fillory. Das Land aus seinen Kinderbüchern hat eine ernüchternde Botschaft für ihn. „Du glaubst, dir stünden Kreuzzüge, Drachen und die Bekämpfung des Bösen bevor“, erfährt er: „Aber so ist es nicht. Das erkennst du nur noch nicht. Da draußen ist nichts.“ Außer Massen von kaufkräftigen Lesern. Grossmans amerikanischer Verlag hat schon eine Fortsetzung angekündigt. Kolja Mensing

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