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Kultur: Wenn der Mensch nackt ist

Der letzte große Realist: Zum 80. Geburtstag des Malers Lucian Freud

Er steht im Licht der Öffentlichkeit – und meidet sie, wo er nur kann. Er gilt als Englands berühmester lebender Maler, die Tate Britain Gallery ehrte ihn in diesem Sommer mit einer – nicht der ersten – großen Retrospektive, er selbst stellte in Paris gerade eine vielgelobte Ausstellung zu Ehren von John Constable zusammen, er malte die Queen. Doch ein vernünftiges Foto gibt es nicht von ihm. Er gibt auch nur selten und höchst ungern Interviews – und erweist sich in ihnen als witziger, intelligenter Gesprächspartner, profunder Kenner der Literatur, Freund von T.S. Eliot, den er gern zitiert mit Sätzen wie: „Kunst ist die Flucht vor der eigenen Persönlichkeit“.

Lucian Freud ist ein Mann der Widersprüche: ein Enkel Sigmund Freuds, Sohn von dessen jüngstem Sohn Ernst, und selbst ein Psychologe des Pinsels. Geboren am 8. Dezember 1922 in Berlin, emigriert er als 10-Jähriger mit seinen Eltern nach London – und gilt neben seinem verstorbenen Freund Francis Bacon als der englische Maler par excellence. Als Kind gefällt er sich in der Rolle des bad boy, fliegt von mehreren Internaten, später auch von Kunsthochschulen – und versucht doch, ganz ernsthaft und klassisch Malerei zu studieren. Längst steht die Prominenz bei ihm an, will von ihm porträtiert werden, wie der Playboy und Kunstsammler Baron Thyssen-Bornemisza, das Modell Kate Moss und eben die Queen, längst auch hat er sich auf Auftragswerke eingelassen – doch Freud legt Wert auf seine Ästhetik der Armut, auf das kahle Atelier, die unaufwändige Inszenierung. Er wohnt im edlen Londoner Bezirk Holland Park und es sieht immer noch aus wie damals in seinen ersten Jahren in Paddington. Und seine Freunde, die er bevorzugt und immer wieder vor die Staffelei holt, malt er so schonungslos, als seien es seine Feinde.

Das heißt: So ganz stimmt das nicht mehr, in den letzten Jahren. Den einzigen, den Freud nach wie vor schonungslos, entlarvend zeigt, ist er selbst, in den Selbstbildnissen der neunziger Jahre. Mit einer Unbeirrbarkeit, wie man sie nur von Rembrandts zahllosen Selbstporträts kennt, hat er am eigenen Leib den Prozess des Alterns verfolgt, die Eitelkeit der Selbstdarstellung, die Erbärmlichkeit des Menschen, der nackt, seiner Insignien beraubt, posiert. Seinen anderen Modellen gegenüber ist er gnädiger: der Enkeltochter, deren naseweise, aufgeweckte Jugend er distanziert, aber entschieden liebevoll gegenübertritt, dem Sohn Freddie, den er endlich nicht mehr als Genrestück, als Pierrot in Verkleidung zeigt, sondern zu voller Größe heranwachsen lässt, als einen Erwachsenen, einen Ebenbürtigen.

Der Rebell im Ruhestand, der Familienmensch mit mehreren Kindern aus mehreren Ehen – der sich als Eigenbrötler gibt, der Erfolgsmaler, dessen Bildern man immer noch den Zweifel ansieht, Zweifel an sich selbst, seiner Kunst, den Möglichkeiten der Malerei – nur einige der Widersprüche, die Lucian Freud interessant machen. Und die erklären, warum gerade mit ihm der Realismus englischer Prägung so erfolgreich sein konnte: Weil seine Art der Wirklichkeitsdarstellung niemals reines Abbild ist, weil er immer Freude an den Hässlichkeiten fand, weil er übergenau hinblickte und weil seine Bilder Dinge zeigen, die keine Fotografie so wiederzugeben vermag. Nicht die konservative Ablehnung abstrakter Malerei, die gefällige Freude am Wiedererkennbaren ist es, die Lucian Freuds Erfolg erklärt, sondern die Erkenntnis in die Endlichkeit des Menschlichen – und in die unendlichen Möglichkeiten der Kunst.

Christina Tilmann

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