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Kultur: Wenn Dinge sprechen

Im ungarisch-rumänischen Grenzgebiet: Esther Kinskys Roman „Banatsko“

Die Dinge erscheinen in diesem Roman manchmal wirklicher als die Menschen. Sie leben, wie schon in Kinskys erstem Roman „Sommerfrische“, in einer Ebene, einem Staubland, das begrenzt wird nur von den müde sich hinschlängelnden Flüssen. Hin und wieder überschreitet die Ich-Erzählerin eine dieser stillen, fast unscheinbaren Grenzen, fährt von Ungarn nach Rumänien hinüber, in ehemals deutsche Dörfer wie Lenauheim oder Ortschaften, die Bocar, Grabat oder Novo Miloševo heißen: „Ich kam aus der Stadt und suchte das Weite“. Dieser programmatische, selbst ermunternde Satz steht am Anfang des Buches.

In Battonya, ein knapp 7000 Einwohner zählendes Städtchen fünf Kilometer von der rumänischen Grenze entfernt, zieht die Ich-Erzählerin in ein altes, gelb gestrichenes Haus. Sie knüpft erste Kontakte zu den Nachbarn oder treibt sich ziellos in der Gegend herum. Flüsse sind hier meistens Grenzflüsse für irgendwas, und viel passiert nicht in diesem zweiten Roman der 1956 geborenen und bisher vor allem als Übersetzerin aus dem Polnischen, Englischen und Russischen hervorgetretenen Schriftstellerin Esther Kinsky.

So braucht man etwas Geduld, muss man erst auf die Langsamkeit des Erzählflusses herunterschalten, sich gewissermaßen selbst bremsen in seiner Alltagsschnelligkeit, um auf dieses die Erzähllandschaft so sehr verinnerlichende Buch sich einlassen zu können: „In der Ebene, wo sich wenig ereignet und das Dasein sich langsam abspielt, wo jede Fortbewegung nicht nur größere Mühe sondern auch stärkeren Entschluss erfordert als andernorts, ist man doch unentwegt auf Reisen. Reisen vom dunklen, scharfen Schatten, den das Haus auf die Erde wirft, ins helle Licht des Mittags, Reisen von der Kühle in die Wärme und aus dem Wind in die Stille, Reisen vom Brot im Mund zum Wasser und von dort zu der kalten metallischen Schärfe der Messerschneide, die man sich abwesenden Sinnes zwischen die Lippen schiebt.“

In manchem erinnert dieser Roman an „Die Welt hinter Dukla“ des polnischen Schriftstellers Andrzej Stasiuk. „Banatsko“ ist ähnlich handlungsarm, und wie bei Andrzej Stasiuk lässt Esther Kinskys Prosa hinter dem scheinbaren Nichts eine ganze Welt am Rande der Welt aufscheinen. Aus der Traurigkeit der Figuren keltert die sie beschreibende Sprache dennoch eine Art Hoffnung, und fast trotzig leuchtet hier die Schönheit zwischen den Zeilen hervor.

Im Herbst trifft die Erzählerin, aus London kommend, in Battonya ein. Die Felder sind abgeerntet, der Winter steht bevor. Ein scharfes, reines Dämmergrau ist die Farbe dieser Landschaft. Jedes Ding, jeder Mensch, führt hier sein eigenes, manchmal sehr vereinzeltes Leben, „als sollte allem eine Art Gerechtigkeit widerfahren.“

Attila heißt der schweigsame Mann, der ohne Aufforderung eines Tages beginnt, ein altes Kino wiederherzurichten, das für die Erzählerin einen Sehnsuchtsort darstellt. Manchmal setzt er sich neben die Frau, raucht und redet mit ihr. Allmählich werden sie miteinander vertraut, und sie fängt schon an, auf ihn zu warten. Als Attila einmal sein Kommen für den Abend ankündigt, konstatiert die Erzählerin lakonisch und doch erwartungsfroh: „Abend war eine ungewisse Tageszeit.“ Selten ist Sehnsucht so diskret dargestellt worden wie in diesem Buch. Was für Filme er mag, fragt sie ihn. „Alle Filme, die gut enden“, antwortet Attila. Und was das denn sei, ein gutes Ende, will sie wissen: „Zum Beispiel die Liebe.“

Als sie Attila einmal das Foto einer leeren Kinderschaukel zeigt, fragt dieser sie irritiert, warum sie solche Bilder mache. Die Pappeln rauschen, und die Frau sagt einen Satz, der für das gesamte Buch von Esther Kinsky gelten kann: „Ich betrachte die Sprache der Dinge.“

Am Ende der Geschichte läuft in dem alten Kino sogar wieder ein Film, der aber immer wieder stehen bleibt. Ärgern tut sich keiner darüber, und Attila muss sowieso nach seinen neugeborenen Zicklein schaun: „Vielleicht ist das der Film, in dem wir jetzt sein müssen, sagte Attila. Im Regen, im Donner, im leeren Kino, wir wissen es nur nicht.“

Esther Kinskys Roman „Banatsko“ ist ein kleines, und wenn man einmal hineingefunden hat, vielleicht sogar süchtig machendes Manifest über die Präsenz der Dinge, die am Rande der Welt viel intensiver leuchten als in den großen Städten.

Esther Kinsky

Banatsko. Roman.

Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2011.

246 Seiten, 19, 90 €.

Volker Sielaff

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