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Kultur: Wenn Gott träumt

„Tanz in Deutschland seit 1945“ in der Akademie der Künste

„Der Tanz ist die heimliche Utopie aller Schöpfung“ sagt Akademiepräsident Adolf Muschg. Tanz sei „Verdichtung“ des Geschaffenen „zum Rätsel der Wirklichkeit“. Solche perspektivischen Sätze hört man gern. Mit einem „Krokodil im Schwanensee“ komplettiert die Akademie der Künste ihre viel beachtete historische Ausstellungsreihe zu Tanz und Theater im 20. Jahrhundert. Diesmal ist über die Entwicklung des Bühnentanzes in beiden Deutschland zu lernen. Hierfür haben die Kuratoren Hedwig Müller, Patricia Stöckemann und Ralf Stabel sämtliche privaten und öffentlichen Archive der Republik durchforstet und ungeheure Mengen an Bildmaterial zusammengetragen.

Präsentiert wird es als bloße Abfolge von Motiven. Was diese Abfolge aber bestimmt, welche historischen Bezüge, ideologischen Umbrüche, ästhetischen Wendungen aus welchem Grunde vollzogen wurden, liest man dem Arrangement nicht ab. Die in Fünfzigerjahren in der DDR geführte Debatte um Formalismus und sozialistischen Realismus etwa wird in einem einzigen Schaukasten an den Rand gedrängt. Dokumente zu Jean Weidt, Henn Haas oder der Volkstanz-Bewegung stehen säuberlich eingereiht in die Zeugnisse des klassischen Ballettschaffens und spätexpressionistischer Solistenpersönlichkeiten. Das läuft auf Verharmlosung hinaus.

Überhaupt wird die gesamtdeutsche Restauration der Nachkriegszeit in Tanzdingen – man ließ Experimente links oder rechts liegen und steuerte in den sicheren Hafen der Klassik – zwar in breiter Fülle dokumentiert, aber gleichzeitig zur Anekdote verkleinert, weil die Momente der konkreten Entscheidung wegfallen. Als sei Geschichte eine Art Naturereignis, das eben einfach geschieht.

Es fehlt der Mut zur Perspektive. Das spiegelt sich auch in der Ausstellungsarchitektur von Norbert Stütz und Alexandra Nottelmann, die mit unregelmäßig gehängten Kuben aus Schichtholz arbeitet. In diesen Kuben sind Fensterausschnitte, welche Fotos aufnehmen, allesamt sorgfältig passepartouriert und knapp beschriftet. Videoinseln sowie dürftige Textbanner laden zum Verweilen, ein rotes Band der Zeitgeschichte führt gesellschaftliche Erinnerungsbilder vor.

Nur wenige Protagonisten schaffen es zu Einzeldarstellungen, die historische Bedeutung und stilistische Orientierung vermitteln: Tatjana Gsovsky etwa oder Tom Schilling, Pina Bausch natürlich und William Forsythe. Das sind die einzigen Fokussierungen, welche die Ausstellungsmacher ihrem Publikum gewähren. Ein Rettungsanker in diesem Dokumentenmeer war das Auftragswerk „ZUKUNFT_ERINNERN“ der Tanzcompagnie Rubato. Anhand von Videodokumenten der letzten Proben vor dem Tod des legendären Gerhard Bohner haben Jutta Hell und Dieter Baumann eine Auseinandersetzung mit dem Vergangenen gesucht. Es geht um die Einschreibung des Jetzt ins Dokument. Dabei ist in jedem Augenblick die persönliche Beziehung spürbar. Eine abstrakte Geschichtlichkeit, die man „sachlich“ vorführen könnte, wird hier weder behauptet noch versucht.

Bis 30. November. Katalog 25 Euro. Akademie der Künste und Tanzfabrik veranstalten ein breites Rahmenprogramm

Franz Anton Cramer

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