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Kultur: Wenn Soldaten träumen

Uwe Eric Laufenberg malt in Potsdam Schuberts „Winterreise“ aus

Eine Winterreise von Berlin nach Potsdam. Aus dem Dunkel des Parks von Sanssouci tauchen im Licht des Neuen Palais bekannte Gesichter auf, Theaterkritiker und Künstlerkollegen des neuen Intendanten Uwe Eric Laufenberg, um dessen szenische Version der „Winterreise“ in Augenschein zu nehmen. Das Schlosstheater ist eine der vielen Spielstätten, auf die sich das Hans Otto Theater derzeit in der Beschränkung improvisierend verteilt, bis das Zentrum an der Schiffbauergasse endgültig fertig sein wird. Der Name Laufenberg steht dafür ein, dass Potsdams Theater neue Neugier weckt.

Als Regisseur stellt er die „Winterreise“ in den Rahmen einer gefühlten Traurigkeit der Heimkehr. Der Grundton auswegloser Trauer, die der Wanderer aussingt, verbindet sich nun der Wiederentdeckung vergessen geglaubter Lebenszeichen. Denn der Einsame kommt aus dem Krieg zurück in ein hohes Gebäude voller Spuren der Zerstörung (Bühne und Kostüme: Claudia Jenatsch). Ein Mann im Soldatenmantel, mit Rucksack, Maschinenpistole, Schnapsflasche.

Ob das literarische Hauptwerk Wilhelm Müllers, aus dem Schubert seinen unvergleichlichen „Zyklus schauerlicher Lieder“ gemacht hat, in solcher Aufbereitung tiefere Geheimnisse preisgibt, bleibt fraglich. Auch ist es viel verlangt von einem jungen Sänger, zugleich mit einer Interpretation der „Winterreise“, die höchste Konzentration verlangt, als Schauspieler den abendfüllenden Alleinunterhalter zu machen. Der Bariton Jan Buchwald hat dazu den Mut und die Nerven, während seine Stimmtechnik und Intonation noch reifen müssen.

Er singt aber manche Situation schon imponierend aus, etwa in dem Schlüssellied vom „Lindenbaum“, da der Heimkehrer an seiner alten Schreibmaschine den Worten „Komm her zu mir, Geselle“ nachsinnt. Werktreu und sparsam, wie das Potsdamer Musiktheater zu sein hat, darf es sich hier zur Begleitung auf einen Pianisten beschränken: Cornelius Meister, künftig GMD der Stadt Heidelberg, musiziert bewusst dramaturgisch, wechselnd zwischen drei Tasteninstrumenten, dem Flügel vor der Bühne, einem Klavier im Hintergrund der zerborstenen Pracht und einem Flügel auf der Bühne.

Das Fesselnde an dem Konzept Laufenbergs ist, dass es mehrere Ebenen von Erinnerungen anbietet. Die eine kommt aus der Musik und Dichtung, ihrer Liebesenttäuschung, Todesahnung, die zweite aus der Unmittelbarkeit einer Nachkriegsatmosphäre, einem „Draußen vor der Tür“-Gefühl: Vielleicht hat die Liebste einen Anderen genommen, weil sie diesem Reicheren die ersten Nylons verdankte („Im Dorfe“). Das Fräuleinwunder erscheint auch als alte Frau („Der greise Kopf“) und als Kind, das auf dem Totenacker eine Hopse vorfindet: In dem sehr langsamen Tempo des „Wirtshaus“-Liedes gewinnt das Kinderspiel eine magische Wirkung. Vom Tonband poltert der Krieg, auf Filmbildern wird marschiert.

Alles ein bisschen viel, manchmal holperig. Und doch – anhand dieser „Winterreise“ werden Assoziationen wach, die man selbst längst weggeschoben hatte. Das Kunstwerk bewegt sich, ohne eine Sinngebung à la Fischer-Dieskau oder Ian Bostridge zu empfangen, in einem Ambiente von Lebenswahrheit. Einmal denkt der Wanderer, leise vor sich hin pfeifend, an Rosen in Tirol, und wenn er mit Schubert von bunten Blumen träumt, „so wie sie wohl blühen im Mai“, überrascht den Zuschauer ein Stückchen Heimatfilm. Man lacht – und fühlt sogleich die bittere Konsequenz der Täuschung.

Wieder am 18. 11. und 15. 12.

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