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Kultur: Wenn wir verglühen

Kaltes Gefühlsdrama aus Österreich: „Antares“ setzt Affekt gegen Moral

Erster Schauplatz: ein Wohnklotz am Rand von Wien, es könnte auch eine andere Stadt sein. Auf dem Gelände davor wird ein Schäferhund gedrillt. In den durchweg gleich geschnittenen Wohnungen domestizieren die Leute ihre Gefühle. Alfred stöhnt über die neuen Schmierereien im Fahrstuhl und will unbedingt wegziehen. Seine Frau Eva nickt gleichmütig. Sie braucht keine andere Wohnung, sondern eine Abwechslung. Eine Zufallsbekanntschaft verschafft ihr den Kick. Zwei Treffen im Hotelzimmer, wo Eva und ihr Partner ihre sonst unter Verschluss gehaltene Sexualwut ausleben, genügen, dass sie sich von Alfred trennen will. Aber da ist noch die etwa dreizehnjährige Tochter.

Zweiter Schauplatz: das Krankenhaus, in dem Eva Dienst tut. Eine der Patientinnen wird Sonja sein. Die Supermarkt-Kassierin unternimmt eines Nachts einen Selbstmordversuch, weil ihr Freund Marco ein Verhältnis zu einer Frau von nebenan hat. Die aber wird von ihrem früheren Ehemann Alex drangsaliert. Nach einer hitzigen Auseinandersetzung mit Nicole und mit Marco verursacht Alex einen Verkehrsunfall. Sein Körper wird in die Leichenkammer des Spitals geschoben. Opfer der Karambolage war Evas Kurzzeitliebhaber, der aber mit ein paar Schrammen davonkommt. So hängt alles irgendwie zusammen in einer Malaise unguter Liebesverhältnisse.

Götz Spielmann, Jahrgang 1961, ist eine Hoffnung des österreichischen Films. Seine zweite Arbeit „Der Nachbar“ errang 1991 mehrere Festivalpreise. „Die Fremde“ wurde 1999, „Antares“ in diesem Jahr für den Auslandsoscar nominiert. Als Moralist befindet sich Spielmann mit Michael Haneke, Ulrich Seidl und Barbara Albert in guter Gesellschaft, stilistisch geht er eigene Wege. Er unterwirft jedes Detail seiner prägenden Absicht, was zu dem Eindruck führt, die Personen bewegten sich wie auf Planetenbahnen, und der Autor wolle an ihnen ein Exempel statuieren. Seine Filme sind nicht so bitterböse wie die Seidls oder so pessimistisch wie die Hanekes. Aber die missratene Liebe liefert auch ihm den Beweis für die Verrottung unserer Kultur.

Antares heißt ein feuerroter Doppelstern im Zentrum des Skorpion. Er zählt zu den hellsten Sternen überhaupt und wird in absehbarer Zeit als Supernova explodieren. In Spielmanns Film ereignen sich gleich drei Explosionen. Berückend schön sieht davon nur Evas Hotel-Eskapade aus: Regisseur und sein Kameramann Martin Gschlacht lassen sie die Darsteller Petra Morzé und Andreas Patton in aufregenden, nicht unbedingt jugendfreien Szenen phantasiereich auskosten. Sonja und Alex dagegen stürzen in ihrem mit Selbsthass gesättigten Liebeswahn – ohne aufzuleuchten – ins Verderben.

Die ungehemmte Naivität der Akteure, aber auch die unglückliche Reaktion der Opfer lösen im Zuschauerraum Verwunderung und bisweilen kaltes Gelächter aus. Eva etwa ist für Spielmann, der die Bücher zu seinen Filmen selbst schreibt, keine moderne, bedauernswerte Madame Bovary, noch weniger eine tragische Anna Karenina. Ihr droht keine Ächtung, sie kann so weitermachen, nicht zuletzt weil Alfred (Hary Prinz), der um Selbstbeherrschung ringende Mann, sie am Ende des Aktes wieder auffängt. Für Menschen als moralische Wesen ist es nie schmeichelhaft, ihre Affekte als die bestimmenden Antriebskräfte zu erfahren. Spielmann schneidet jedes psychische Hin und Her ab und lässt keine Entschuldigung durch die Verhältnisse zu. Jeder tut, was er tun will, ohne auch nur einen Moment zu zögern – die wohlsituierte Krankenschwester, die Kassiererin Sonja (Susanne Wuest), die eine Schwangerschaft vortäuscht, um den Freund an sich zu binden, der erfolglose Immobilienhändler Alex (Andreas Kiendl), der seine Exfrau Nicole (Martina Zinner) „zur Vernunft“ bringen will, indem er sie fesselt.

Während eine ausufernde Unterhaltungsindustrie den Menschen zuredet, sich verführen zu lassen und zu genießen, was sich anbietet, und die moderne Lebensphilosophie dem Ich-Kult die Begründung nachliefert, weist Spielmann auf die Morbidität dieser praktizierten Kultur hin. In Österreich scheint man, unter dem Trauma des verlorenen jahrhundertelangen Glanzes ohnehin zur Depression neigend, für die Krankheiten des Lebens besonders sensibel und weiß längst, dass keine Aufklärung, sei es auf der Couch oder im Kino, sie heilen wird. Die Diagnose ist der letzte Halt.

Kant, Kulturbrauerei, Neues Off

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